Die 11. Welt-Gymnaestrada wird
allseits als großer Erfolg für die FIG und die gesamte Turn-Familie gewertet. Bitte
nennen Sie uns einige Eckpunkte, worin für Sie bzw. das Technische Komitee Allgemeines
Turnen dieser Erfolg besteht.
Die Welt-Gymnaestrada ist die größte internationale Breitensportveranstaltung der
Welt - daß es die FIG geschafft, eine solche Veranstaltung immer weiter aufzubauen und zu
entwickeln, halte ich für den größten Erfolg. Es ist uns dieses Mal gelungen, daß 37
Teilnehmerländer in Göteborg mit insgesamt 21.115 Teilnehmerinnen und Teilnehmern dabei
waren. In Berlin waren es noch 31 Länder.
Gab es gegenüber der 10. Welt-Gymnaestrada in Berlin Neuigkeiten im Programm der
Gymnaestrada, oder wurden die Schwerpunkte anders gewichtet?
Eine generelle Programmänderung hat es nicht gegeben, einen spezifischen Schwerpunkt
schon: Aus Anlaß des internationalen Jahres der Senioren haben wir erstmals ein
Seniorensportforum durchgeführt. Wir hatten einige Befürchtungen, am letzten
Gymnaestrada-Tag auf wenig Resonanz zu stoßen und waren sehr angenehm überrascht, daß
der Kongreßsaal gut gefüllt war. Die Teilnehmer am Forum waren sehr interessiert an
Vortrag und Praxisdemonstrationen, und die FIG hatte die Möglichkeit, ihre Ansichten im
Umgang mit Senioren darzulegen.
Wie war die Altersstruktur der Teilnehmerinnen -
ist die Gymnaestrada attraktiv für junge Leute?
Das ist sie. Es waren wiederum sehr viele junge Leute dabei - und viele ältere, von
denen wir annehmen, daß sie schon einige Gymnaestraden mitgemacht haben. Diese
Polarisierung ist uns aufgefallen. Und nicht zu übersehen: Über 80 Prozent aller Aktiven
sind Frauen.
Übrigens haben wir - ich habe das persönlich ausgearbeitet - erstmalig bei einer
Gymnaestrada eine Teilnehmerbefragung durchgeführt. Wir haben über 2.000 der
ausgegebenen Fragebögen zurückerhalten. Im November werden wir dann die
Auswertungsergebnisse vorstellen - ich bin sicher, mit sehr interessanten Resultaten.
Welche Rolle haben die Bildungsangebote
gespielt, und wie wurden sie angenommen? Gab es bevorzugte Themenschwerpunkte?
Es gab wieder, wie in Berlin auch, das FIG-Forum und das Übungsleiterforum, letzteres
war mit 36 Angeboten auch recht gut besetzt.
Es hat sich gezeigt, daß im Grunde eine Zweiteilung der Angebote vorhanden ist, und dem
wird die FIG in Zukunft auch durch eine Differenzierung schon bei der Planung Rechnung
tragen müssen: Zum einen werden experimentelle Strukturen vorgestellt, man führt
praktisch das fertige Produkt vor, und das auf einem sehr hohen Niveau. Zum anderen gibt
es Angebote, die mehr die gewohnten didaktischen Lernangebote beinhalten, und die auch
gefragt sind. Wir als FIG müssen das künftig konkreter fassen und eine bessere
Differenzierung vornehmen.
Was die Resonanz angeht, so ist sie noch nicht so, wie wir uns das wünschen. Aber ich
halte das für ganz normal - das ist ein Prozess, der sich entwickeln wird. Schließlich
gibt es diese Angebote überhaupt erst seit der Berliner Gymnaestrada.
Viele der Showvorführungen wurden
offensichtlich mit einem großen Aufwand an Kostümen und Material gestaltet. Wie werten
Sie für die Zukunft die diesbezüglichen Möglichkeiten der ärmeren Nationen, für die
eine solche Ausstattung gar nicht infrage kommt?
Das ist eine Sache, die mir persönlich auch sehr aufgefallen ist. Oft geht die
aufwendige Ausstattung auf Kosten der eigentlichen Bewegungsqualität. Hier sollten wir
als FIG dahingehend eingreifen, dass wir durch entsprechende Angebote, durch Lehrgänge
die Ausbildung qualitativ erhöhen und damit wieder mehr Wert auf die eigentliche
Bewegungsqualität legen.
Und darin scheint mir auch die Möglichkeit für die ärmeren Verbände zu liegen. Ein
Beispiel: Ich habe den Baltischen Abend besucht; die baltischen Länder waren mit relativ
wenigen Gruppen in Göteborg, aber sie wollten ihren eigenen Abend - und der hat durch
seine Bewegungsqualität bestochen. Für mich war das sehr wohltuend; ich glaube,
dass das
ein Weg ist, um solche Veranstaltungen auch durch die kleineren Verbände bestreiten zu
lassen.
Bitte sagen Sie uns etwas zum Gesamtauftreten
der deutschen Delegation.
Die deutsche Delegation war in Göteborg ja die zweitgrößte überhaupt - unerwartet
eigentlich. Doch es war nicht etwa nur eine quantitative Größe, die auffiel, sondern
auch die Qualität.
Wir hatten drei herausragende Auftrittsgruppen, die wirklich in aller Munde waren und
richtig gefeiert wurden: Das war die schwäbische Männergruppe von Rainer Kratt, die
"Drehscheibe" aus München, eine gemischte Gruppe aus Rollstuhlfahrern und
Tänzern, und die "Elefanten" aus Berlin, deren kreative Ideen bejubelt wurden.
Ein ausgezeichneter Beitrag war auch der deutsche Part im Abschlussbild, den 600 Frauen
mit großen Fächern gestalteten.
Ein Wort zu den schwedischen Gastgebern...
Schweden ist ja traditionell ein ganz starkes Land im Allgemeinen Turnen, und die
Schweden haben sich jetzt ganz besonders als Gastgeber qualifiziert. Es ist phantastisch,
was sie geleistet haben; wenn es Probleme gab, wurden die umgehend gelöst. Ausgezeichnete
Voraussetzungen bot natürlich das ganz zentral gelegene Messegelände, so
dass alle Ziele
auf kurzem Wege lagen. Gut war auch der angebotene Markt - ähnlich der Gymnaestrada-Meile
in Berlin, damals auf dem Alexanderplatz - der ebenfalls innerhalb des Geländes zu finden
war. Das alles trug wesentlich zur hervorragenden Atmosphäre des Festes bei.
Ganz persönlich gefragt: Was hat Sie am meisten
beeindruckt?
Da fällt es mir schwer, zu antworten, da ich gar nicht eine Einzelheit hervorheben
kann. Beeindruckt hat mich die große Gastfreundschaft der schwedischen Organisatoren. Und
immer wieder ist es ein großes Erlebnis, die Atmosphäre, die Stimmung, die Begeisterung
einer Gymnaestrada zu erleben. Wenn zur Eröffnung die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in
den endlos scheinenden Zügen in das Stadion kommen, läuft es mir immer kalt den Rücken
runter...
Wie werten Sie die Zukunft der Gymnaestraden in
einer Welt wachsender Globalisierung einerseits und zunehmender Individualisierung der
Gesellschaft andererseits?
Ich denke, dass sich trotz gesellschaftlicher Wandlungsprozesse in den nächsten
Jahren nichts am Charakter der Gymnaestrada ändern wird. Es ist im wesentlichen ein
großes Familienfest, und die Einstellungen dazu sind relativ stabil. Dieses
Gemeinschaftsgefühl, die Freude auf das Wiedersehen, das Wiedererleben - das wird
bleiben.
Natürlich ist es eine naheliegende Idee, so ein großes Fest zu öffnen: Wir als FIG
haben das versucht, haben das anderen Organisationen und Verbänden vorgetragen.
Beispielsweise den in vielen Ländern existierenden Breiten- und Freizeitsportverbänden
oder ähnlichen Sportorganisationen. Aber da hat es eine ziemliche Sperre gegenüber einer
solchen Öffnung gegeben, so daß wir da im Moment nicht weiterkommen.
So wird die Gymnaestrada ein Familienfest bleiben - das betrifft auch die
Teilnehmerzahlen. Sicher wird es Variationen geben, aber im wesentlichen werden die
Größenordnungen so bleiben, wie wir sie in diesem Jahr erlebt haben.
Das Gespräch führte Sonja
Schmeißer/GYMmedia |