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Die deutschen Turner zeigen beim
Weltcup in Cottbus schwankende Leistungen
- von Michael Kölmel
COTTBUS, 7. März. Thomas Andergassen hatte sich warm angezogen.
Den Trainingsanzug zugezogen, die Hände in dicke Handschuhe
gepackt, präsentierte er sich dem Publikum beim Turnier der
Meister in Cottbus vor dem Finale am Pferd. Entschlossenheit
strahlte der Stuttgarter aus: Nicht kneifen, ein Signal setzen zum
Auftakt der Olympia-Saison. Doch allen Vorsätzen zum Trotz - der
Körper machte wieder einmal nicht mit.
Ob es das kaputte Pauschenpferd und
die 15-minütige Verzögerung war, oder das verkürzte Einturnen,
der 23-Jährige vermochte es nicht zu erklären. Im Mittelteil
griff er an einer Pausche vorbei. Ein Fauxpas, der eine
Kettenreaktion auslöste. Der Allgäuer musste improvisieren, Schwünge
auslassen, und sein Ausgangswert schrumpfte vom maximal 10 auf 9,6
zusammen - Welten im Kreis der Besten. Am Ende belegte er nur
deshalb Platz fünf (9,212), weil drei Konkurrenten das Pferd
wider Willen verlassen hatten. Mit versteinerter Miene und geflüsterten
Flüchen quittierte Andergassen selbst seine herbe Enttäuschung.
Das deutsche Kunstturnen ist seit längerem
wie ein wackeliges Gebäude, das bei jedem Hauch einzustürzen
droht. Andergassens Auftritt beim Weltcup von Freitag bis Sonntag
machte das deutlich. Dass er überhaupt mit 9,525 Punkten das
Finale erreicht hatte, ist als Fortschritt zu werten. "Es
geht in kleinen Schritten voran", sagte Andergassen. Um so ärgerlicher,
dass sein Fehlgriff beim Weltcup dieses Bild wieder zunichte
machte.
Ronny Ziesmer erging es besser. Der
Cottbuser erreichte gleich zweimal das Finale. An den Ringen wurde
er mit einer etwas wackeligen, aber guten Kür Siebter (9,537) und
war dabei nur zwei Zehntel vom griechischen Weltmeister
Dimosthenis Tampakos entfernt. "So einen Abstand nehme ich
gerne hin", kommentierte Cheftrainer Andreas Hirsch. Auch am
Barren erreichte der 25-Jährige das Finale, hier sprang trotz
eines Patzers (nur 8,712 Punkte) erneut Rang sieben heraus.
Dennoch passte - wenn auch positiv
- Ziesmers Auftritt ins Bild. Vor einer Woche verpasste der
deutsche Mehrkampfmeister bei einer Ausscheidung die
vorolympischen Wettkämpfe in Athen. Die wiederum hatte Sven
Kwiatkowski, bei der WM im Sommer der Stabilste unter den
Wackeligen, gewonnen. In der Lausitz-Arena aber erreichte der
Chemnitzer lediglich das Boden-Finale - mittels einer Wildcard.
Und dort war der 26-jährige Athlet mit 8,612 ein Totalausfall.
Immerhin vermochte Ziesmer, die
Schwankungen in Worte zu fassen: "Der Kopf turnt zu viel mit,
aber er ist nicht da, wo der Körper gerade ist." Es sei früh
in der Saison, die Anspannung enorm, die Automatisierungen fehle.
Aber, und das gebe Hoffnung, die Arbeit mit Hirsch "macht,
dass es vorwärts geht".
Kleine Schritte
Hirsch kommentierte die vielen
Gesichter seiner Athleten vage: "Positiv gesprochen: Ich bin
nicht enttäuscht." Im Umkehrschluss: Der Berliner hatte sich
größere Fortschritte erhofft, und im Detail bemängelte er
Einiges. Von Stillstand will er aber nicht sprechen, man mache
eben kleine Schritte, und für Olympia sei man im Bereich des
Team-Finales. Man wird sehen.
Davon sind die deutschen
Turnerinnen - für Athen nur mit zwei Einzelplätzen qualifiziert
- weit entfernt. Immerhin erreichten in Cottbus Lisa Brüggemann
(Balken/Stufenbarren) und Yvonne Musik sowie Birgit Schweigert am
Sprung das Finale. "Mir kann niemand die Laune verderben, das
ist ein sehr gutes Abschneiden", sagte Cheftrainerin Petra
Nissinen tapfer. Doch ein Blick auf die Wertungen verriet: Der
Abstand zur internationalen Spitze ist noch größer als bei den Männern.
Wohl deshalb wird jeder Lichtblick als Sonnentag empfunden.
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