21.09.2000

EXPERTENSICHT

Deutsches Turnen auf Niveau vor 15 Jahren

 

Maxi Gnauck über die Turnwettkämpfe während der olympischen Spiele und die Situation in Deutschland:



Zweimal Maxi - 
1979, als nahezu unbesiegbare Stufenbarren-Turnerin 
und im Jahr 2000 bei einem Treffen mit den Olympiasiegern Dr. Karin Büttner-Janz und Andreas Wecker 

Das Feld der Kunstturnerinnen in der Spitzenklasse ist enorm zusammengerückt, die Leistungsdichte hat zugenommen. Am meisten mag ich die Vielseitigkeit von Svetlana Chorkina, die Sprungkraft von Elena Produnova. Bei den Chinesinnen imponiert mir die gestreckte Körperhaltung bei den Übungen am Stufenbarren. Auch am Sprung ist es sehr viel weiter gegangen. Insgesamt zeigen die Turnerinnen heute enorme Leistungen, sehr schwierige turnerische und gymnastische Kombinationen, die Übungsinhalte sind gestiegen, und es werden vielfältiger mit Vorwärts- und Rückwärts-Bewegungen gezeigt.

Selbst die besten deutschen Turnerinnen, Dagmar Fehrenschild und Birgit Schweigert, hätten bei den Olympischen Spielen keine Chance gehabt, dafür sind sie zu weit weg. Die Leistungen der deutschen Turnerinnen befänden sich auf einem Niveau, das vor ungefähr 15 Jahren Standard war. Es klingt vielleicht etwas arrogant, aber wir Turnerinnen von damals könnten heute in Deutschland mitturnen, ohne negativ aufzufallen. Das reicht natürlich nicht für die Weltspitze.

Wenn sich die Bedingungen nicht verbessern, hat das deutsche Turnen auch in den nächsten Jahren keine Chance. Wer Medaillen möchte, muss die Bedingungen dafür schaffen. Der Sport muss wieder einen höheren Stellenwert bekommen, Talente müssen gefördert werden. Für das Turnen bedeutet das: ein langfristiger Leistungsaufbau, Rundum-Betreuung und wissenschaftliches Arbeiten. Gerade in den letzten acht Jahren wurde im Wissenschaftsbereich immer weiter reduziert, die genaue Auswertung von Elementen fand nicht mehr statt. Der große Aufwand wie früher wurde nicht mehr betrieben.

Auch bei den Turnern war das Ergebnis in Sydney unbefriedigend. Leider sind auch die Männer im internationalen Maßstab nur noch Mittelmaß. Aber wie sollte es anders sein, wenn die Bedingungen immer schlechter werden?

Ich finde es sehr schade für die Sportart, und es ist traurig für mich, weil ich immer noch mit dem Herzen am Turnen hänge. Einen Hoffnungsschimmer sehe ich nicht. Es ist sehr schwierig, Kinder fürs Turnen zu begeistern. Sie können aus einer Vielzahl an Freizeit-Möglichkeiten wählen. Das bestimmt die Persönlichkeitsentwicklung. Die Bereitschaft fehlt, sich für eine Sache anzustrengen. Oft wollen dann auch die Eltern nicht, dass ihr Sohn oder ihre Tochter mit dem Leistungssport beginnt.

(Aufgeschrieben von Angela Geisler )

 
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