Von Andreas Götze

Belenki: OTA-
Titelfoto 1-2000
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Der Finkenweg ist eine kleine Sackgasse in Ruit,
einem Stadtteil von Ostfildern, ca. 15 km von Stuttgart entfernt und um einige Meter
höher gelegen, "auf den Fildern" eben. Hier in einem vor wenigen Jahre
gebauten, weiß verputzen Haus wohnt in Hochparterre Valeri Belenki mit seiner Freundin
Olga Abduraimov. Drei-Zimmer-Eigentumswohnung, modern eingerichtet, die Wände mit zumeist
großformatigen Bildern geschmückt, Originale in Öl und Aquarell aus Rußland und China.
Eine Vitrine voller Pokale und Medaillen verweist auf die zahlreichen internationalen
Erfolge des nunmehr 30-jährigen Kunstturners, der seit 1992 im Schwabenländle weilt. Der
Olympiadritte von 1992 und zweifache Pauschenpferd-Exweltmeister hat an diesem Januartag
wie so oft Besuch. Alexej Grigorjew, der für die KTV Straubenhardt in der 2. Bundesliga
turnt, ist zum Feierabend auf ein bis drei Bier vorbeigekommen. Muße genug also, bei
Kartoffelchips und selbst gerösteten Sonnenblumenkernen mit dem
Stuttgarter Bundesligaturner Valeri Belenki über die Olympiasaison und das Turnen im
allgemeinen zu schwätzen. |
Die WM-Saison 99 ging für Dich mit einer Verletzung
unangenehm zu Ende. Wie gehts der Schulter jetzt?
Valeri: Wesentlich besser. Ich habe gegen die Entzündung seit Mitte
Dezember regelmäßig eine Röntgen-Tiefenbestrahlung und beim Olympiastützpunkt
Stuttgart auch täglich Krankengymnastik erhalten. Die Behandlung geht noch bis Ende des
Monats. Ich habe keine Schmerzen mehr, aber das linke Schultergelenk ist noch ein wenig
instabil.
(Anmerkung: Verstärkte Schmerzen in der Schulter am Ende des ersten EM-Trainingslagers am 28. Januar 2000 in der Sportschile
Frankfurt machten eine Tiefenuntersuchung erforderlich.Am 02.02. wurde Waleri Belenki an
der Schulter operiert. - die Red. 02.Febr. 2000)

DTB-Pokal '99: ARD Interview
nach Ringe-Abbruch
1988 bereits - mit 19 Jahren gewann Valeri
das erste Gerät beim Stuttgarter DTB-Pokal (Barren) und startete seither unter 4 Flaggen:
UdSSR, GUS, Aserbaidchan und
seit 1994 für Deutschland. |
Wann wirst Du Dich
im Training wieder voll belasten können?
Valeri: Das wird noch etwas
dauern. Eben (am 19. Januar/d. A.) habe ich wieder die ersten 10 Flanken auf den Pauschen
und am Pferdende probiert. Ich konnte ja seit November nicht mehr Pferd und auch nicht
Barren turnen, habe nur Ringe trainiert und mußte dann beim DTB-Pokal in Stuttgart ja
auch aufgeben. Man ist eben keine Maschine, und jünger werde ich auch nicht. Aber ich bin
optimistisch, dass ich bei den Höhepunkten des Jahres wieder richtig
mitmischen kann.- GRAND PRIX LOGO -

BELENKI: "Mr. Grand Prix"
Er ist der Turner mit den meisten Teilnahmen
am DTB-Pokal und den meisten Erfolgen (9x - wie Witali Scherbo und Andreas Wecker.) |
Welche
Wettkämpfe stehen in Deinem persönlichen Kalender?
Valeri: Der Weltcup ist mir wichtig, deshalb möchte ich im März in
Glasgow und Cottbus wenigsten an den Ringen und am Pferd antreten. Dann kommen die
Europameisterschaften, und natürlich möchte ich mich für Sydney qualifizieren. Es
wären meine dritten Olympischen Spiele. 1988 habe ich für die UdSSR zwar die gesamte
Olympiavorbereitung mitgemacht, mußte vor der Abreise nach Seoul aber nach Hause fahren
bitter. Wenn es gesundheitlich gut läuft, sollte ich in Sydney fünf Geräte
turnen, vielleicht sogar einen Mehrkampf. Aber für genaue Pläne ist es noch zu früh.

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Wie siehst Du mit dem Abstand
der Monate Deinen sechsten Platz am Pauschenpferd bei den WM in Tianjin?
Valeri: Nach der guten Übung hatte ich
zwar nicht mit dem ersten Platz gerechnet, aber mit einer Medaille. Dass es dafür nicht
reichte, war schon enttäuschend. Aber das macht mich für die EM oder für Sydney nicht
mutlos. In erster Linie muß ich eine super Leistung zeigen, dann entscheiden die
Kampfrichter. |
Enttäuschung
herrschte auch in Eurer Mannschaft, die das Finale der besten Sechs nicht erreicht hatte
und nur Achter geworden war. Dass verschiedene Faktoren für die deutsche Riege negativ zu
Buche schlugen, ist bekannt, was aber fällt Dir zum Thema Selbstkritik ein?
Valeri: Zu erst mal Boden und Sprung. Hier fehlt uns viel bis
zur Weltspitze, da verlieren wir zwei Punkte gegenüber der Konkurrenz. Da muß sich auch
jeder selbst Gedanken machen, wie er den Ausgangswert heraufsetzen kann. Ich denke, bei
uns wird im allgemeinen auch zu wenig Akrobatik trainiert. Wenn ich mich an die Zeiten in
der UdSSR-Mannschaft erinnere: Da wurde mehr Wert darauf gelegt, schon zur Erwärmung ging
es mit Akrobatik los.
Wird in
Deutschland zu lasch trainiert?
Valeri: Nein, so allgemein kann man das nicht sagen. Natürlich haben
wir früher bei Arkajew mehr gemacht, aber man kann die Verhältnisse nicht miteinander
vergleichen. Heute müssen die Turner auch ihre schulische und berufliche Ausbildung mit
dem Training ein Einklang bringen. So wie wir in der Sowjetunion geackert haben, das ist
heute undenkbar.
Mal
konkreten Geschichtsunterricht für die jüngeren Turner in Deutschland: Wie sah denn ein
Trainingstag am "Runden See" bei Moskau aus?
Valeri: 7 Uhr Aufstehen, gemeinsames Joggen durch den Wald, ca. 1 km,
bis zur Turnhalle, dort von 7.30 Uhr bis 8.30 Uhr die erste Trainingseinheit. Erst
gemeinsames Krafttraining, dann ging jeder individuell noch an die Geräte oder machte
Dehnung. 9.00 Uhr war Frühstück. Von 10.30 Uhr bis 13.15 Uhr dauerte die
Haupttrainingseinheit. Da wurden vorwiegend Übungen geturnt. 13.30 Uhr Mittagessen,
Ausruhen. 17 bis 19 Uhr dann die dritte Einheit. Da mußtest du erst mal die Übungen
nachholen, die im Haupttraining nicht geschafft wurden. Was vor allem im Winter zunehmend
schwieriger wurde, weil es zu Perestroika-Zeiten aufgrund der Geldknappheit kalt in der
Halle war und erst ab 18 Uhr Licht eingeschaltet wurde. Turn mal im Halbdunkel eine
Reckübung!
Und wann
stand Krafttraining auf dem Programm?
Valeri: Zum Ende der dritten Einheit. Zwei Kraftrunden, die es in sich
hatten: 30 Flanken, Seilklettern, Kraftkombinationen an den Ringen, Schlußsprünge am
Boden, am Barren Stützkehre Stemme Rückschwung halbe Drehung
fünfmal hintereinander. Dann fünf Minuten Pause und das ganze noch einmal. Da habe ich
manche kotzen sehen, wirklich. Arkajew saß in der Mitte und passte auf. Manchmal fluchte
Scherbo wüst, dann mußte er zur Strafe noch mal das Seil hoch.
War solch
ein Trainingslager die Ausnahme?
Alexej Grigorjew: Das war immer so! 12 Lehrgänge hatten wir pro Jahr, und
jeder Lehrgang zumeist 18 Tage lang. Die Hälfte des Jahres waren wir im Trainingslager,
das immer mit diesem Scheiß-Krafttraining anfing. Du hattest dich zu Hause
erholt, vielleicht ein bisschen zugenommen, und dann gleich dieser Hammer
schon mittags bei der Anreise.
Valeri: Aber trotzdem hatten wir dort auch schöne Zeiten, beim
Skilaufen im Wald Billard- oder Tischtennisspielen. Und im Nachbardorf wohnten Mädchen...
Erfolgreiches
Schwabengespann |
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Seit Anfang seines Aufenthaltes in Deutschland
hat Valeri Belenki das Glück, von einem wahren Meister seines Fachs betreut zu werden:
Väterlicher Freund und Trainer Anatoli Jarmowski, der bereits 1980 in Leningrad Alexander
Ditjatin zum Olympiasieg führte. |

Jarmowski, Belenki
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Ist
solch eine Trainingshärte nicht unzumutbar?
Valeri: Es war hart, ja. Und Arkajew hatte ein System geschaffen, bei
dem nur die Besten durchkamen und dann eben Weltmeister wurden. Und wir waren jung, ich
war damals ein Motor mit 500 PS. Eine gewisse Härte braucht dieser Sport schon, denn von
einem Turner wird viel verlangt. Und da müßten einige unserer Jüngeren heute schon noch
etwas mehr machen. Dabei muß ja nicht jeder Weltmeister werden. Aber man braucht
bestimmte Ziele, und es ist ein tolles Gefühl, ganz oben auf dem Treppchen zu stehen.
Eine Frage der Motivation also. Zweifellos hattet Ihr im Arkajewschen System in
dieser Hinsicht einen zusätzlichen Trumpf im Ärmel...
Valeri: Klar, wir sahen unsere Chance, auf diese Art die Welt kennen zu
lernen, und wir sahen auch, wie die älteren Turner aus den westlichen Ländern mit
Cassettenrecordern zurückkehrten. Ich habe mich ganz auf ein Ziel konzentriert und
aufgrund unserer Bedingungen auch konzentrieren können. Heute ist es für Turner in
hochentwickelten Industrieländern schwerer, sich zu schinden. Aber der Spaß am Sport und
am Gewinnen ist wohl überall gleich.
Aus Dir spricht schon ein
wenig "Altersweisheit". Denkst Du bereits über ein Ende Deiner Laufbahn und
Deine berufliche Zukunft nach?
Valeri: Ich glaube schon, dass nach Sydney Schluss für mich ist.
Weniger die Wettkämpfe sind es, die mir schwer fallen, sondern die Vorbereitung darauf.
Ich könnte mir vorstellen, in der Bundesliga noch eine gewisse Zeit weiter zu turnen -
und bei Showauftritten. Turnen ist mein Leben, deshalb werde ich anschließend beim
Schwäbischen Turnerbund als Trainer arbeiten. Und auch die Belegung unseres leer
stehenden Kinderzimmers könnte ein Thema werden...
Die Tür geht auf, Valeris Freundin
Olga kommt nach Hause, in Sportkleidung, müde. Es ist 21.30 Uhr, nun hat auch
die 22jährige, aus Usbekistan stammende ehemalige Sportgymnastin Feierabend. Olga, in
Stuttgart ausgebildete Sport- und Gymnastiklehrerin, "schafft" zurzeit an fünf
verschiedenen Arbeitsstellen - in verschiedenen Fitness-Unternehmen und als RSG-Trainerin
beim TSV Schmiden. |

Belenki: Mr. Optimismus
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Olga, wann habt
Ihr Euch kennengelernt?
Olga: Vor
drei Jahren bei einem Sommerfest des TSV Schmiden, wo ich ja damals als Gruppengymnastin
trainierte. Bis dahin hatte ich schon viel von Valeri gehört, dass er ein berühmter
Turner ist, Olympiasieger und so. Mir gefiel gleich seine lustige Art und seine
Bescheidenheit. Er kommt mit allen gut zurecht, ob Kind oder Erwachsener.
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Was
gefällt Dir am Turner Belenki besonders?
Olga: Ich bin stolz auf ihn, dass er nach
so vielen Jahren immer noch zur Weltspitze gehört, obwohl er ja nicht mehr so jung ist.
Aber besonders beeindruckt hat mich an ihm von Anfang an seine perfekte Fußhaltung. Jede
Gymnastin wäre neidisch, so elegant sieht das aus.
Danke, Ihr beiden, und "a Gut's Nächtle".
Das Interview führte im Auftrag des
Turnmagazins OTA Andreas Götze.
Vorschau
1/2000
gymmedia.: Das komplette BELENKI-Interview
erscheint ab Mitte Februar in der Ausgage 1/2000, ebenso ein ausführliches Interview mit
Christa Herrmann. Die scheidende Kampfrichter-Chefin des deutschen Frauenturnens spricht
darin nicht nur über die Motive ihres Rücktritts im DTB, sondern erzählt auch aus
alten Zeiten: Als Trainerin bei den Olympischen Spielen 1972 für die
DDR-Frauenriege und von ihren Empfindungen in der Wende-Zeit.
Außerdem: WM-Rückblicke von der Berlinerin Katrin Kewitz und von Bundeskunstturnwartin
Ursula Koch.

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