Sanktionen der FIG gegen 
Kampfrichterinnen

update: 17-08-2000

 

Pressekommentare

 

SZ vom 17.08.2000 Sport

   

Schrilles Signal nach der Revolte

Von Volker Kreisl

Was war nur mit dem Publikum los? Sonst ist es eher zurückhaltend, bei der Gymnastik-EM in Saragossa hatte es jedoch rebelliert. Hatte was gegen die Kampfrichterinnen. Denen war, hoppla, schon bei einer mittelmäßigen Übung eingangs eine 9,6 herausgerutscht. Später gab es vier mal die Höchstnote am selben Gerät, jedoch keine Großzügigkeit für alle: Weltmeisterin Witritschenko fand sich trotz solider Leistung auf hinteren Rängen wieder. Alina Kabaeva dagegen stolperte fast und wurde dennoch Europameisterin. Das Publikum tobte, die Verbandsvertreter hatten ein plötzliches Aha-Erlebnis und ordneten Untersuchungen und harte Strafen an.

Per Videoanalyse lässt sich feststellen, welche Kampfrichterin grob danebenlag, insofern ist die Entscheidung der FIG vermutlich in der Sache richtig. Nicht auf Videos dokumentiert sind jedoch die bizarren Abläufe jenseits des Richtertisches. Die Bewerterinnen sollen unabhängig sein, stehen aber oft unter gehörigem Druck. Hinter ihnen lauert ein nationaler Verband, der um Fördergelder fürchtet und sich ein Durchfallen der eigenen Athleten verbittet. Hinter vorgehaltener Hand wird seit Jahren von internationalen Tauschgeschäften geflüstert: Deine Bestnote gegen meine, so halten wir uns über Wasser. Erschwert wird das Bewerten zudem durch einen veralteten Punktekatalog. Der erlaubt kaum noch Unterscheidungen im Spitzenbereich. Die Übungen der Athletinnen sind vollgepackt mit Höchstschwierigkeiten, die Versuchung steigt, sachfremde Aspekte ins Urteil einzubringen.

All das spielt sich im Hirn des Kampfrichters ab, oder vielleicht in der Lobby und im Gang, ist aber nicht beweisfähig. Die FIG ist daher in Sorge ums Prestige und wollte ein Signal setzen. Es wurde so schrill, dass eine Fortdauer des Streits droht. Die Nationalverbände, auch der deutsche, kündigen Rechtsmittel an. Und die verurteilten Richterinnen werden sich kaum mit der Rolle des Sündenbocks zufrieden geben. Was aber, wenn die Zunge ähnlich locker wird, wie die Hand beim Ankreuzen des Prüfbogens? Wenn sich am System nichts ändert? Dann rebelliert das Publikum wieder. Oder kommt gar nicht mehr.

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