Berliner Sicht und Reaktion auf das Abschneiden der deutschen Kunstturnerinnen
Super- Gau ??

(von Juri Robel, Kunstturntrainer Berlin)

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"Wir waren bis zum Einmarsch bester Stimmung" sagte Bundestrainer Dieter Koch auf der Pressekonferenz nach dem Mannschaftsdurchgang bei den Weltmeisterschaften in China. Und in der Tat hatten die Ergebnisse bei den Länderkämpfen im Vorfeld mit progressiver Entwicklung der Punkteresultate bis hin zu über 151 Punkten beim letzten Test in Karlsruhe genug Anlass zu Optimismus gegeben. Was nach dem Einmarsch dann folgte, beschrieb er allerdings als "Supergau". Jeweils zwei Fehler an Boden und Barren und gar drei Patzer am Pferdsprung liefern allein schon die auch rechnerische Begründung dafür, dass der 12. Platz und damit die Olympiaqualifikation in greifbarer Nähe war. Sicher wäre bei Vermeiden von nur vier der sieben Fehler der Rückstand auf die als 12. einkommenden Weissrussinnen (die man übrigens zwei Wochen vor den WM beim Länderkampf in Karlsruhe klar distanziert hatte, fast auf Null geschrumpft. Ob der Ausdruck Supergau gerechtfertigt ist, sei trotzdem dahingestellt. Schließlich musste das deutsche Team auf zwei seiner Leistungsträgerinnen des Jahres 1998 - Gritt Hofmann und Katja Abel - verzichten und mit Yvonne Pioch war eine der Stützen der Mannschaft nach monatelangem krankheitsbedingten Ausfall erst im Juni diesen Jahres wieder belastbar geworden. Diejenigen, die eine sichere Qualifikation erwartet hatten, ignorieren meiner Meinung nach dieTatsachen. Die Enttäuschung ist gerechtfertigt - das Entsetzen jedoch unangebracht.

  • "Schwere Last auf zarten Schultern",   schrieb die Berliner Zeitung treffend am 12. Oktober.
    Offensichtlich nämlich waren die Mädchen im entscheidenden Moment dem Druck, der auf ihnen lastete, nicht gewachsen. Wen wunderts, denn außer Yvonne Pioch hatte keine der Mannschaftsturnerinnen WM- oder Olympiaerfahrung und dass das gesamte Fördersystem bei den Kunstturnerinnen in Deutschland mit dem Auftritt unserer Damenriege auf den Prüfstand gehoben wurde, war den Mädchen auch bewusst.
  • Harsch geriet dann auch die erste Reaktion auf Funktionärsebene: "Bei einigen hat die olympische Flamme nicht gelodert...der Kredit, den uns das Bundesinnenministerium eingeräumt hat, ist aufgebraucht, wir müssen sparen. Der Aufwand, den wir treiben, spiegelt sich nicht in den Ergebnissen wieder", meinte DTB-Sportdirektor Wolfgang Willam und dementierte auch nicht, dass Bundestrainerposten in Gefahr seien. Tröstende Worte fand dagegen DTB-Präsident Jürgen Dieckert: "Es sind Dinge passiert, die im Leben hier und dort passieren aber Frauen-Kunstturnen wird es in Deutschland weiter geben."
  • Fragt sich nur in welcher Form: Wenn die markigen Sprüche des Sportdirektors wahr werden sollten und an Trainerstellen weiter gekürzt wird (was übrigens im weiblichen Kunstturnen seit der deutschen Vereinigung mit selbstzerstörerischer Präzision in jedem Trainer-Vertragszyklus geschehen ist), dann sollte man auch so ehrlich sein und die regressive Personalpolitik mit provinziellen Zielstellungen untermauern.
  • Das Fördersystem in der Bundesrepublik scheint auf dem Kopf zu stehen. Überall auf der Welt wird investiert, um Leistungen zu ermöglichen. In Deutschland jedoch will man nur dort investieren, wo Leistung bereits sichtbar ist.
    Schade, dass als Dank für monate- und jahrelanges Ackern von Turnerinnen und Trainern offensichtlich nur Schelte und Jammern über vertanes Geld übrig bleibt.

Juri Robel, Kunstturntrainer, Berlin

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