*update:
21-Mai-2009

Frankfurt/Main

Der Frauenturnverein von 1848
und die Entwicklung des Frauenturnens in Frankfurt
* Quelle: Institut für Stadtgeschichte Frankfurt/M.

Nicht nur „Gymnastik für ältere Frauenzimmer“
Turnen hat in Frankfurt eine lange Tradition:
Schon nach einem Besuch des Turnvaters Friedrich Ludwig Jahns 1815 in Frankfurt begannen Schüler des Frankfurter Gymnasiums mit dem Turnen, das mit Unterbrechungen und auf wechselnden Übungsplätzen bis in die 30er Jahre fortgeführt wurde.
Auch der erste Turnverein in Frankfurt wurde unter dem Namen „Clässer“ von Schülern gegründet. An den Schulen selbst wurden erste Leibesübungen nach dem System des Turnpädagogen
Guts-Muths an der Musterschule bereits 1804 eingeführt, regelmäßigen Turnunterricht an allen Frankfurter Schulen gab es noch lange Zeit nicht. Auch erwachsene Männer begannen ab 1833 in der von August Ravenstein gegründeten Turngemeinde zu turnen. Das Turnen sollte dabei nicht nur der körperlichen Ertüchtigung dienen, sondern auch den Geist formen, Vaterlandsliebe und Wehrhaftigkeit vermitteln und zu „echten Deutschen“ und „rechten Männern“ erziehen.
Daher blieben Schülerinnen und Frauen lange vom Turnen ausgeschlossen.

 Erst in den 30er Jahren setzte sich langsam die Erkenntnis durch, dass auch für Frauen Turnen durchaus förderlich für die Gesundheit sein könnte, da Haltungsschäden, Kurzatmigkeit oder Bleichsucht aufgrund von Bewegungsmangel weit verbreitet waren. Schließlich wollte man gesunde Frauen, die dann auch entsprechend gesunde Kinder bekommen konnten.

Frauen beim Geräteturnen um 1910.
Aus dem Archiv des Frankfurter Turnvereins von 1860 (V33/73)

Moritz Kloss, Direktor der Sächsischen Turnlehrerbildungsanstalt in Dresden und „Vater des Mädchenturnens“, schrieb u. a.[1] :

 „Turnen sollte die körperliche Gesundheit fördern, damit unsere Mädchen nicht zu schwächlichen Hausfrauen, zu verstimmten Gattinnen und zu kränklichen Müttern werden“.
Anmut, Sanftheit, Duldsamkeit, Frömmigkeit und Sittsamkeit waren laut Kloss die zu fördernden weiblichen Tugenden. Keinesfalls dürfe „die beabsichtigte leibliche Ausbildung auf Kosten der zarten Weiblichkeit ausarten, die Zartheit der Empfindungen nicht vertauscht werden gegen ein keckes, kühnes männliches Wesen“.
Kurz: selbst die Befürworter des Frauenturnens fürchteten eine Vermännlichung und Emanzipation der turnenden Frauen.
Kloss (1871): " ... der Knabe soll in Dur, das Mädchen in Moll turnen..."

* ... schrieb auch "Die Turnschule des Soldaten",
Systematische Anleitung zur körperlichen Ausbildung des Wehrmannes insbesondere für den Feld- und Kriegsdienst

Dr. Moritz Kloss
* 1818 in Krumpa
+1881 in Dresden

Gegner des Frauenturnens führten weitere Argumente ins Feld. Eines der gewichtigsten: Turnen gefährde die Sittlichkeit. Das hatte zur Folge, dass bis zum Beginn des 20. Jh.´s Frauen geschnürt und in langen Kleidern turnten.

Auch öffentliche Vorführungen des Frauenturnens z. B. auf den Deutschen Turnfesten waren lange Zeit verpönt (1894 nahmen erstmals Frauen an einem Deutschen Turnfest teil).
Aber es gab auch Vorurteile gegen das Turnen an sich:
Man glaubte, dass Turnen ein breites Kreuz, einen dicken Hals und breite Hände verursachen würde. Schließlich meinte man, bestimmte Übungen wären für die weibliche Gesundheit besonders schädlich, z. B. könnten Erschütterungen die Gebärmutter schädigen.
<< Auf einer Karikatur in der Turnerzeitung „Schnaken“ des Frankfurter Turnvereins von 1860 aus dem Jahr 1901 (* siehe beiliegende Skizzen) sieht man die Auswirkungen dieser Vorurteile auf das Frauenturnen:
Devise war anfangs „Kopf oben, Beine unten und geschlossen“. An den Geräten: nur Balancier- oder Stemmübungen.
Erst langsam kam etwas „Schwung“ in die Sache.

Da sich die Frauen damit aber nicht zufrieden geben wollten und die Übungen erweitert wurden, kam es beim Turnen wie auch in anderen Sportarten zur Diskussion um die Hose für die Frau.
In Frankfurt wurden dabei noch relativ lang Röcke getragen, erst kurz vor dem 1. Weltkrieg ging man zu Pluderhosen über. Nach dem Krieg waren dann auch kurze Hosen kein Thema mehr, besonders in der Leichtathletik.

Die Entwicklung des Frauenturnens in Frankfurt wurde stark von dem hiesigen Turnvater August Ravenstein gefördert, der nicht nur 1833 als Turnverein für Erwachsene die Turngemeinde sondern auch 1838 eine florierende Turnanstalt gegründet hatte.

Bereits im selben Jahr nahm er nicht nur Schüler, sondern auch 6 Schülerinnen an der Turnanstalt auf.
Im Sommer 1849 auf dem Höhepunkt des Frauen- und Mädchenturnens turnten 38 Mädchen in der Anstalt [2]. Ravenstein unternahm regelmäßig mit den Mädchen kleinere Turnfahrten, die er genau im Fremden- und Gedenkbuch der 1845 neu organisierten und von der Stadt geförderten Turnanstalt festhielt.
Ravenstein hoffte dabei, durch den Spaß der Mädchen am Turnen und durch die erfolgreichen Ausflüge die Gegner des Mädchenturnens zum Besseren überzeugen zu können.


Frauenturnen, Frankfurt/M., 1912


Die neue Turnanstalt mit der ersten Turnhalle Frankfurts
war auf kräftiges Wachstum und weitere Schüler angewiesen, regelmäßig schrieb Ravenstein in dieser Zeit auch Berichte über Aktivitäten der Turnanstalt für die örtliche Presse (z.B. in der Zeitung „Didaskalia“).
Im März 1849 fand außerdem erstmals ein öffentliches Vorturnen der Mädchen statt, an die Besten wurden Preise vergeben.

"Gymnastik für ältere Frauenzimmer"
Aber auch das Turnen für ältere Frauen stieß Ravenstein an.
Drei Frauen waren es, die am 1. November 1848 „endlich mit der Gymnastik für ältere Frauenzimmer“ (Zitat Ravenstein) beginnen dürften.
Bereits im Dezember waren es laut Eintrag im Fremden- und Gedenkbuch neun Frauen.

Diese Frauen gründeten noch im Winter 1848/1849 den ersten Frauenturnverein in Frankfurt und einen der ältesten in Deutschland. Sie gaben sich eine Satzung und verpflichteten sich, zweimal wöchentlich zu turnen. Wie emanzipiert diese Frauen waren und wie revolutionär der von ihnen gegründete Verein, zeigt die noch im Winter 1849 vorgelegte Satzung des Vereins sehr genau.  Dort heißt es:

Frauen-Turnverein, Zweck des Vereins

§. 1. Die Zeit der Rache ist gekommen!
Im überwallenden Gefühl unserer angestammten Kraft ergreifen wir muthig die Waffen gegen die Erzfeinde unseres Geschlechtes. Unsere Wahlstatt ist der Turnplatz. Dort unter Gottes freiem Himmel, im Angesicht des Tages, entbieten wir offenen und ehrlichen Kampf der Trägheit, Verweichlichung und Entartung der Frauenwelt. Unsere Loosung ist: Deutsches Frauen-, Menschenthum. Unfehlbar ist der Sieg: wir wollen, wir werden die verscherzte Kraft der Jugend uns wiedererobern, und mit dem Körper wird der Geist umschwingen!

Pflichten des Vereins.
§. 2. Die Mitglieder desselben verbinden sich
1) wöchentlich zweimal zu turnen, und zwar ungeschnürt in linnener Turnkleidung.
2) Auch außer dem Turnplatz allen und jeden körperlichen Zwang, als der freien Bewegung hinderlich und somit der Gesundheit schädlich, zu verwerfen und abzulegen.
3) Einfach zu werden, nämlich allen eitlen Schmuck und Tand zu verachten und zu Verbannen;
4) Die Fremdwörter zu meiden, und sich der deutschen Reinsprache zu befleißigen.

[…]

In dieser Fassung wurde die Satzung in der Frauen-Zeitung der bekannten Frauenrechtlerin Louise Otto veröffentlicht (Ausgabe Nr. 28).
Im Archiv des Frankfurter Turnvereins von 1860, in dem sich auch die Unterlagen der von Ravenstein gegründeten Turnanstalt befinden, gibt es außerdem eine handschriftliche Satzung mit den Unterschriften aller elf Gründerinnen und handschriftlichen Anmerkungen von August Ravenstein.
Diese Anmerkungen wurden von den Frauen für die in der Frauen-Zeitung abgedruckte Fassung aber nicht übernommen.

In einer späteren Ausgabe der Frauen-Zeitung 1849 findet sich ein Bericht der gewählten Sprecherin über die Aktivitäten der

Turnerinnen,  deren Zahl inzwischen auf 13 angewachsen war.

> Louise Otto-Peters

Hier ist von einer Turnfahrt in den Wald die Rede, dem Aufstellen eines Turnplanes für den Sommer 1849 und es werden Zusammenkünfte außerhalb des Turnplatzes geplant, um auch „die geistigen Zwecke unseres Vereins lebendig zu machen“.
Der Bericht schließt mit dem Schwur: „Frauentreue unserem Bund in Ewigkeit!“ Weitere Berichte des Vereins gab es in der Frauen-Zeitung nicht, die Zeitung musste 1852 ihr Erscheinen einstellen. Laut den Statistiken in den Rechenschaftsberichten der Turnanstalt waren es im Sommer 1849 allerdings zehn Frauen, die an der Turnanstalt turnten, bereits 1850 ist nur noch eine Frau in den Berichten verzeichnet. Der Verein scheint eingeschlafen zu sein. Auch das Mädchenturnen nahm stark ab, 1850 waren es noch 21 Schülerinnen.

Rückgang des Turnens nach der Revolution 1948
Wie man an diesen Zahlen sieht, gab es insgesamt im Turnen (auch bei den Männern) nach der fehlgeschlagenen Revolution 1848 einen starken Rückgang. Auch von den öffentlichen Stellen wurde das Turnen wieder äußerst restriktiv behandelt, sämtliche Turnvereine in Frankfurt wurden 1852 verboten und die Turnanstalt Ravensteins fiel aus der öffentlichen Förderung heraus. In Preußen wurde außerdem die Aufnahme von Frauen in politische Vereine (und das waren Turnvereine damals noch) verboten. Trotzdem gab es für Frauen ab 1854 die Möglichkeit, in dem von Ravenstein gegründeten Institut für Heilgymnastik und Orthopädie Übungen zu machen. Solche Einrichtungen wurden Anfang der 50er Jahre wegen des Verbots der Turnvereine in vielen Städten eingerichtet. Aber auch das Institut wurde wenig frequentiert. Die politische Situation hatte zur Folge, dass die Turnanstalt von Ravenstein bis 1862 langsam einschlief. Das Turnen für Schüler und Schülerinnen wurde verstärkt an die Schulen verlagert, die nun Turnlehrer einstellten. 1850 wurde an der Musterschule als erster Schule in Frankfurt das Mädchenturnen für die oberen Klassen eingeführt. Es dauerte allerdings bis 1894, bis das Mädchenturnen an höheren Mädchenschulen in Preußen obligatorisch wurde, an allen Volksschulen geschah dies erst nach dem Ersten Weltkrieg.

Als erster Turnverein Frankfurts gründete sich der Turnverein Sachsenhausen 1858 neu.
Als Nachfolger der Turngemeinde wurde 1860 der Frankfurter Turnverein aus der Taufe gehoben.
Eine Abteilung für die Frauen wurde aber erst wieder 1891, also mehr als 40 Jahre nach der Gründung des Frauenturnvereins, eingeführt. Im selben Jahr begann man außerdem wieder mit dem Schülerturnen für Jungen und Mädchen. Der Frauen-Turnverein zu Frankfurt am Main war 1848 also seiner Zeit weit voraus …

* Anmerkungen:
[1] Aus dem Aufsatz von Prof. Dr. Gertrud Pfister „1848 und die Anfänge des Mädchen- und Frauenturnens. In: Deutsches Turnen (1981), 1, 8-10; 2, 29-30; 3, 47-49“
[2] Aus den Rechenschaftsberichten der Turnanstalt von August Ravenstein (V33/16)

* Quelle: Institut für Stadtgeschichte Frankfurt/M.; Autorin: Claudia Schüßler

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< ... gefunden im: 

Stadtarchiv
Frankfurt/M.


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>> Zum 150. Todestag August Schärttners


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