30-Sep-2000
- gymmedia -

Olympisches Turnen:
Traditionen und Premiere

Im GYMmedia-Exklusiv-Interview:


Hans-Jürgen
Zacharias

Hans-Jürgen Zacharias (Vizepräsident der FIG):

Bilanz

"Perfekte Infrastruktur, die Bedingungen im Superdome und im Pavillon 3 des Olympischen Parks boten der Weltelite in unseren etablierten olympischen Disziplinen, wie auch für die Olympiapremiere des Trampolinturnens hervorragendes Flair und ließen diese Olympischen Spiele auch aus der Sicht des Weltverbandes zu einem großen Erfolg werden."

GYMmedia: Insgesamt 52 Medaillen sind in den Turn- und Gymnastikdisziplinen vergeben worden, soviel wie noch nie in der seit 1896 ohne Unterbrechung zum olympischen Programm gehörenden Turndisziplin. Wie fällt die Olympiabilanz 2000 aus FIG-Sicht aus?

ZACHARIAS:  Durchaus positiv! Sowohl für das traditionelle Kunstturnen, die Rhythmische Sportgymnastik, wie auch für die Trampolinpremiere. Nach Abschluss der Wettbewerbe der Turn- und Gymnastikdisziplinen muss man in erster Linie den australischen Gastgebern bescheinigen: Es waren grandiose Spiele der perfekten Organisation und der Freundlichkeit. Man hat sich hier große Mühe gegeben, kleine, oft auch nicht vorhersehbare Mängel sind normal und kaum erwähnenswert. Beispielsweise waren manchmal die Pausen zwischen der letzten Übung und der Siegerehrung zu lang.

GYMmedia: Aber es gab wohl auch einige beispiellose Zwischenfälle!

ZACHARIAS:  Ja, da war einmal die Sache mit dem um 5 cm zu niedrigen Sprungpferd.' Irren ist menschlich' - das kann keine Entschuldigung sein, war aber der schlichte Grund für diesen Vorfall. Den haben wir natürlich konsequent ausgewertet, der dafür verantwortlichen Präsidentin des Technischen Komitees Jackie Fie ist auch eine Verwarnung ausgesprochen worden - das Reglement sagt darüber klar aus, dass das im Zuständigkeitsbereich des TK liegt. Es sind Maßnahmen getroffen worden - insbesondere beim Umbau vom Gerätebesatz der Männer zum Wettkampf der Frauen -, dass das ein einmaliger Vorgang bleibt.

GYMmedia:   Der andere Zwischenfall ist aber weniger leicht zu beheben!

ZACHARIAS:  Leider ist die Disqualifikation der besten Mehrkämpferin Andreea Raducan ein schwierigerer Fall, das ist immer so, wenn es Menschen direkt betrifft. Die Kleine tut sicher vielen leid, uns auch, aber die Regeln des IOC lassen keine Ausnahme zu, auch wenn wohl hier die Athletin nur die Betroffene ist. Die FIG erkennt die IOC-Regeln an. Der dieses Dopingvergehen verursachende Arzt ist nicht nur vom IOC für die nächsten zwei Olympischen Spiele ausgeschlossen, sondern auch von allen FIG-Veranstaltungen in diesem Zeitraum!

GYMmedia:   Wie fällt die sportliche Bilanz nach diesen Olympischen Spielen  aus?

ZACHARIAS:  Ich glaube, einen großen Entwicklungsschub haben wir seit Atlanta hier nicht erlebt, das Niveau bewegte sich in Sydney auf einem bekanntermaßen hohen, aber in etwa gleichbleibenden Level. Genauere Analysen bleiben aber den Technischen Komitees vorbehalten. Ich rechne nun eher mit wesentlicheren Veränderungen und neuen Impulsen durch die neuen Wertungsvorschriften für den jetzt beginnenden neuen Olympiazyklus.

GYMmedia:  Nun ist der "FIG-Vize" zugleich Vize-Präsident des Deutschen Turner-Bundes. Dessen Frauen waren erstmals seit 44 Jahren (Melbourne 1956) völlig von der Olympic Family ausgeschlossen, dessen Männer erlebten hier den größten Einbruch in der Geschichte seit 1896!

ZACHARIAS:  Das tut natürlich ziemlich weh. Uns sind im unmittelbaren Vorfeld auch vier unserer besten Turner ausgefallen, das war schon kaum zu verkraften, und vom Männerteam hier eben nicht zu kompensieren.

Es muss jetzt zu Hause ein Umdenken einsetzen - das gilt für alle Disziplinen, außer vielleicht der Rhythmischen Sportgymnastik mit dem hervorragenden 4.Gruppenplatz - denn das Pech von Edita Schaufler, das war wirklich Pech, wie es im Sport eben nicht auszuschließen ist.
Andere Länder machen es uns vor, sie konzentrieren und bündeln die Kräfte, haben z. B. eine intensivere Lehrgangstätigkeit. 
Was unsere vom NOK nicht nach Sydney entsandten Mädchen anbetrifft - die hätten hier ganz sicher keine schlechte Figur gemacht! Diesen Standpunkt habe ich ja auch vor den Spielen entsprechend vertreten. Ganz sicher werden wir verstärkt Veränderungen in der Nachwuchsentwicklung unternehmen müssen.

GYMmedia:   Das waren die letzten Olympischen Spiele in Ihrer Funktion als Vize-Präsident Sport im DTB, und nun...?

ZACHARIAS:  Mit der neuen Struktur, die vom Deutschen Turntag im Herbst umgesetzt wird, ist kein Platz mehr für mich - da müssen jetzt andere ran, Eduard Friedrich und Rosemarie Napp, vorausgesetzt, sie werden von den Delegierten gewählt. Ich stehe aber dann im Bereich Sportartenentwicklung sicher für eine starke und gute Kooperation wieder zur Verfügung.

GYMmedia:   Vielen Dank und gute Heimreise nach Deutschland!

Das Gespräch für GYMmedia führte -
 kurz vor der Abschlussveranstaltung in Sydney
 Eckhard Herholz