Bei anderen gelesen

25.09.2000

Deutschlands Abschied als Olympia-Supermacht

In mehreren deutschen Tageszeitungen und anderen Medien äußerten sich Sportpolitiker anlässlich der Halbzeit der Olympischen Spiele zum enttäuschenden Abschneiden der deutschen Mannschaft.  
NOK-Präsident Tröger warnt vor Kritik zur Unzeit

Walther Tröger hat die Mitglieder der deutschen Olympia-Mannschaft vor Kritik zum «denkbar ungünstigsten Zeitpunkt» gewarnt. Die einzigen, die das Recht zur Kritik während der Olympischen Spiele hätten, seien die Olympiasieger, sagte der Präsident des Nationalen Olympischen Komitees (NOK) am Sonntagabend bei einem Empfang des deutschen Botschafters in Australien auf der «MS Deutschland».
Tröger sprach von «einigen denkwürdigen Leistungen im positiven wie im negativen Sinne». Er dankte den Mannschaftsmitgliedern, «die im Einsatz ihr Bestes gegeben haben, oder die versucht haben, ihr Bestes zu geben». Wenn es Misserfolge gegeben habe, «dann liegt die Schuld bei uns allen». Und der NOK-Präsident fügte hinzu: «Alle haben das merkwürdige Spiel um Medaillen mit gemacht, daran müssen wir uns nun auch messen lassen».

Deutschlands Abschied als Olympia-Supermacht

Deutschland gehört nicht mehr zu den Olympia- Supermächten und steht vor einer kontroversen Debatte über die Zukunft des Hochleistungssports. Angesichts des Einbruchs in einigen Sportarten hat die deutsche Teamführung schon bei ihrer Halbzeitbilanz am Sonntag in Sydney das gesteckte Ziel von 65 Medaillen wie in Atlanta 1996 über den Haufen geworfen.

Schließlich wurden in 162 Entscheidungen erst 28 Medaillen gewonnen. Vor vier Jahren waren es zum gleichen Zeitpunkt 37. Als Hauptursachen für den Absturz machen die führenden deutschen Sportfunktionäre überholte Strukturen der Verbände sowie mangelnde Professionalität von Athleten und Trainern aus.

«Der Ausfall in den Sportarten Schwimmen und Schießen ist mit der Gesamtmannschaft nicht mehr zu kompensieren», zog Rolf Ebeling, Leistungssport-Direktor beim Deutschen Sportbund (DSB), am Sonntag eine bittere Zwischenbilanz.
Während NOK-Präsident Walther Tröger am Sonntag vor «Kritik zum denkbar ungünstigsten Moment» warnte, hatte sie sein Vizepräsident Ulrich Feldhoff bereits angebracht.
«Es gibt nichts zu beschönigen. Das war absolut enttäuschend.»

Neben Schwimmern und Schützen hätten auch die Judoka «nicht annährend ihr Leistungsniveau vom Vorjahr erreicht». Angesichts dieser und anderer Schwachstellen fordert Thomas Bach, Vizepräsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), dass man nach den Spielen eingehend analysieren müsse, «wie es weitergehen soll».

Intern wird in der Teamleitung befürchtet, dass die Mannschaft lediglich 50 Mal Edelmetall holt und mangels Siegertypen im Medaillenspiegel nicht einmal mehr unter den besten fünf Nationen landet. Da ist die Rechnung, dass die Deutschen nach 162 von 300 Entscheidungen «Platzierungs-Weltmeister» sind, nur ein schwacher Trost. «Wir sind die führende Nation auf den Rängen vier bis zehn», so Ebeling.

Als eine Ursache für ausbleibenden Erfolg in einstigen Domänen machte die Teamführung die zunehmende Einflussnahme von Beratern, Heimtrainern, Eltern und Betreuern auf einzelne Sportler aus. «Ich war sehr, sehr entsetzt, wer sich da alles geäußert hat», meinte Ebeling. Doch auch manche Athleten selbst ließen es an der nötigen Einstellung vermissen, gingen mit vollem Bauch und zu viel Sonne in ihren Wettkampf. «Viele waren offenbar nicht mehr motiviert, als sie sich qualifiziert hatten», urteilte Feldhoff.

«Hochleistungssport ist kein Hobby mehr. Das haben einige hier endgültig gezeigt bekommen», befand auch Ebeling, der aber dennoch «großes Potenzial» in der Mannschaft ausmachte. Wie diese Ressourcen bis Athen 2004 aktiviert werden können, dürfte zur großen Streitfrage werden. Nach seiner Einschätzung sind weit reichende Reformen unumgänglich: «In einigen Verbänden ist es notwendig, eine Struktur zu finden, die dem Hochleistungssport angemessen ist.»

Konzentration der Kräfte und vor allem auf Olympia ist seine Marschroute, die der Ex-Ruderer auch angesichts der Kürzung im Sportetat für das kommende Jahr in Höhe von 35 Millionen Mark einschlagen möchte: «Es müssen zielgerichtet die Olympischen Spiele im Vordergrund stehen. Uns interessieren relativ wenig bis gar nicht die Ergebnisse der WM und EM 2001 und 2002.»

Die USA, mit Abstand eifrigster Medaillensammler, sei so eine reine Olympia-Nation. Auch China gelingt es, seine Sportler auf den Punkt zur Reife zu bringen, wie Platz zwei im Medaillenspiegel beweist. In Europa machen Frankereich und Italien es den Germanen vor, wie man mit System zum Erfolg gelangen kann. «Vielleicht müssen wir uns mehr auf Erfolgstypen konzentrieren. Wie man das in einer erfolgsgesättigten westeuropäischen Gesellschaft machen kann, zeigen uns die Franzosen», so Bach.

Trotz aller Enttäuschungen und unerfüllter Erwartungen attestiert der Chef de Mission, Klaus Steinbach, dem deutschen Team einen «hervorragenden Zusammenhalt» und einen «sehr offenen Umgang miteinander». Zudem hofft er in der zweiten Olympia-Woche mit den Starts der Kanuten und Reiter auf einen Aufschwung.

Aus einem Interview mit Dr. Thomas Bach, Vizepräsident des IOC

Alle großen Mannschaften hier haben Siegertypen. Athleten mit großen Namen, die nach Sydney als Favoriten kommen und die auch gewinnen. Warum gibt es diese deutschen Siegertypen nicht? 

Bach: «Auch hier gilt: Erst einmal die zweite Halbzeit abwarten. Nimmt man zum Vergleich die USA, dann ist der Sport dort noch immer Mittel des sozialen Aufstiegs. Bei uns ist das DDR-Erbe langsam aufgebraucht. Der DDR-Sport war zwar vom Doping durchsetzt. Doch das war nicht alles. Vielleicht müssen wir uns mehr konzentrieren auf Erfolgstypen. Wie man das in einer relativ gesättigten westeuropäischen Gesellschaft machen kann, zeigen uns die Franzosen mit ihren Erfolgen. Nach den Spielen wird man im deutschen Sport eingehend analysieren müssen, wie es weitergehen soll.»
(dpa)

 
Homepage GYMmedia
back to Olympic navigation

  gymservice
-schm- 25-09-2000