NOK-Präsident
Tröger warnt vor Kritik zur Unzeit
Walther Tröger hat die Mitglieder der deutschen
Olympia-Mannschaft vor Kritik zum «denkbar ungünstigsten
Zeitpunkt» gewarnt. Die einzigen, die das Recht zur Kritik
während der Olympischen Spiele hätten, seien die
Olympiasieger, sagte der Präsident des Nationalen Olympischen
Komitees (NOK) am Sonntagabend bei einem Empfang des deutschen
Botschafters in Australien auf der «MS Deutschland».
Tröger sprach von «einigen denkwürdigen Leistungen im
positiven wie im negativen Sinne». Er dankte den
Mannschaftsmitgliedern, «die im Einsatz ihr Bestes gegeben
haben, oder die versucht haben, ihr Bestes zu geben». Wenn es
Misserfolge gegeben habe, «dann liegt die Schuld bei uns
allen». Und der NOK-Präsident fügte hinzu: «Alle haben das
merkwürdige Spiel um Medaillen mit gemacht, daran müssen wir
uns nun auch messen lassen».
Deutschlands
Abschied als Olympia-Supermacht
Deutschland
gehört nicht mehr zu den Olympia- Supermächten und
steht vor einer kontroversen Debatte über die Zukunft
des Hochleistungssports. Angesichts des Einbruchs in
einigen Sportarten hat die deutsche Teamführung schon
bei ihrer Halbzeitbilanz am Sonntag in Sydney das
gesteckte Ziel von 65 Medaillen wie in Atlanta 1996
über den Haufen geworfen.
Schließlich wurden in 162 Entscheidungen erst 28
Medaillen gewonnen. Vor vier Jahren waren es zum
gleichen Zeitpunkt 37. Als Hauptursachen für den
Absturz machen die führenden deutschen
Sportfunktionäre überholte Strukturen der Verbände
sowie mangelnde Professionalität von Athleten und
Trainern aus. |
«Der Ausfall in den
Sportarten Schwimmen und Schießen ist mit der
Gesamtmannschaft nicht mehr zu kompensieren», zog Rolf
Ebeling, Leistungssport-Direktor beim Deutschen
Sportbund (DSB), am Sonntag eine bittere Zwischenbilanz.
Während NOK-Präsident Walther Tröger am Sonntag vor
«Kritik zum denkbar ungünstigsten Moment» warnte,
hatte sie sein Vizepräsident Ulrich Feldhoff bereits
angebracht.
«Es gibt nichts zu beschönigen. Das war absolut
enttäuschend.» |
Neben Schwimmern und
Schützen hätten auch die Judoka «nicht annährend ihr
Leistungsniveau vom Vorjahr erreicht». Angesichts
dieser und anderer Schwachstellen fordert Thomas Bach,
Vizepräsident des Internationalen Olympischen Komitees
(IOC), dass man nach den Spielen eingehend analysieren
müsse, «wie es weitergehen soll».
Intern wird in der Teamleitung befürchtet, dass die
Mannschaft lediglich 50 Mal Edelmetall holt und mangels
Siegertypen im Medaillenspiegel nicht einmal mehr unter
den besten fünf Nationen landet. Da ist die Rechnung,
dass die Deutschen nach 162 von 300 Entscheidungen
«Platzierungs-Weltmeister» sind, nur ein schwacher
Trost. «Wir sind die führende Nation auf den Rängen
vier bis zehn», so Ebeling.
Als eine Ursache für ausbleibenden Erfolg in einstigen
Domänen machte die Teamführung die zunehmende
Einflussnahme von Beratern, Heimtrainern, Eltern und
Betreuern auf einzelne Sportler aus. «Ich war sehr,
sehr entsetzt, wer sich da alles geäußert hat»,
meinte Ebeling. Doch auch manche Athleten selbst ließen
es an der nötigen Einstellung vermissen, gingen mit
vollem Bauch und zu viel Sonne in ihren Wettkampf.
«Viele waren offenbar nicht mehr motiviert, als sie
sich qualifiziert hatten», urteilte Feldhoff.
«Hochleistungssport ist kein Hobby mehr. Das haben
einige hier endgültig gezeigt bekommen», befand auch
Ebeling, der aber dennoch «großes Potenzial» in der
Mannschaft ausmachte. Wie diese Ressourcen bis Athen
2004 aktiviert werden können, dürfte zur großen
Streitfrage werden. Nach seiner Einschätzung sind weit
reichende Reformen unumgänglich: «In einigen
Verbänden ist es notwendig, eine Struktur zu finden,
die dem Hochleistungssport angemessen ist.»
Konzentration der Kräfte und vor allem auf Olympia ist
seine Marschroute, die der Ex-Ruderer auch angesichts
der Kürzung im Sportetat für das kommende Jahr in
Höhe von 35 Millionen Mark einschlagen möchte: «Es
müssen zielgerichtet die Olympischen Spiele im
Vordergrund stehen. Uns interessieren relativ wenig bis
gar nicht die Ergebnisse der WM und EM 2001 und 2002.»
Die USA, mit Abstand eifrigster Medaillensammler, sei so
eine reine Olympia-Nation. Auch China gelingt es, seine
Sportler auf den Punkt zur Reife zu bringen, wie Platz
zwei im Medaillenspiegel beweist. In Europa machen
Frankereich und Italien es den Germanen vor, wie man mit
System zum Erfolg gelangen kann. «Vielleicht müssen
wir uns mehr auf Erfolgstypen konzentrieren. Wie man das
in einer erfolgsgesättigten westeuropäischen
Gesellschaft machen kann, zeigen uns die Franzosen», so
Bach.
Trotz aller Enttäuschungen und unerfüllter Erwartungen
attestiert der Chef de Mission, Klaus Steinbach, dem
deutschen Team einen «hervorragenden Zusammenhalt» und
einen «sehr offenen Umgang miteinander». Zudem hofft
er in der zweiten Olympia-Woche mit den Starts der
Kanuten und Reiter auf einen Aufschwung. |
Aus einem
Interview mit Dr. Thomas Bach, Vizepräsident des IOC
Alle großen Mannschaften
hier haben Siegertypen. Athleten mit großen Namen, die nach
Sydney als Favoriten kommen und die auch gewinnen. Warum gibt
es diese deutschen Siegertypen nicht?
Bach: «Auch hier gilt: Erst einmal die zweite Halbzeit
abwarten. Nimmt man zum Vergleich die USA, dann ist der Sport
dort noch immer Mittel des sozialen Aufstiegs. Bei uns ist das
DDR-Erbe langsam aufgebraucht. Der DDR-Sport war zwar vom
Doping durchsetzt. Doch das war nicht alles. Vielleicht
müssen wir uns mehr konzentrieren auf Erfolgstypen. Wie man
das in einer relativ gesättigten westeuropäischen
Gesellschaft machen kann, zeigen uns die Franzosen mit ihren
Erfolgen. Nach den Spielen wird man im deutschen Sport
eingehend analysieren müssen, wie es weitergehen soll.»
(dpa) |