Klaus Köste, Olympiasieger 1972 am Pferdsprung,

"Faszination Olympia"

16-09-2000

 

Die Spiele der XXVII Olympiade sind bereits im Gange. Wer da nicht über Medaillengewinne oder wenigstens Medaillenchancen fabuliert, - riskiert kaum noch zur Kenntnis genommen zu werden. Dabei haben eigentlich alle schon alles gesagt. Sei's drum, als früherer Olympiasieger muss man ja nicht unbedingt über Medaillen reden, - man hat sie. Anmerken möchte ich an dieser Stelle aber schon, dass der Augenblick am 1. September 1972, als man mich in München mit der Goldmedaille ehrte, immer ein besonderer Höhepunkt in meinem Leben bleiben wird. Ich betrachte ihn als Lohn einer langen Sportlerlaufbahn und als immerwährendes Dankeschön für ein großes begleitendes Umfeld, dass solche Erfolge überhaupt erst möglich machte. Ich mache auch kein Hehl daraus, damals sehr stolz darauf gewesen zu sein, diesen Erfolg gerade in München errungen zu haben. Es war nun mal eine Zeit, in der manch politischer Zwist in den Sportarenen zwar friedlich zur Austragung gelangte, das Duell der Systeme allerdings von allen Seiten mit Konsequenz geführt wurde. Olympische Gedanken standen dabei wohl kaum Pate.

Seitdem sind fast drei Jahrzehnte vergangen. Die Systeme spielen nicht mehr die Rolle, doch Ähnlichkeiten sind unübersehbar. Wenn höchsten Ortes gefordert wird, dass die deutsche Olympiamannschaft als Botschafter unseres Landes und dabei besonders als Vertreter des Wirtschaftsstandortes Deutschland in Sydney aufzutreten habe, so ist mir das nicht neu, Wenn daran aber Forderungen gekoppelt werden, dass mit einem dritten Platz in der Nationenwertung untersetzen zu müssen und Leistungsnormen zur Nominierung vom NOK so hoch gehängt werden, dass eine Kernsportart wie das deutsche Frauenturnen, trotz zweier vergebener Quotenplätze durch den internationalen Verband einfach außen vor bleiben muss, dann allerdings ist die Frage gestattet: Quo vadis Sportnation Deutschland ? Was geschieht, wenn "nur" der vierte oder fünfte Platz in der Nationenwertung herausspringt, im Einzelbewerb der noch förderungswürdige zehnte Platz verfehlt wird? Wird dann die weitere Grundförderung ausgesetzt ?

Sparsamkeit ist gut, aber Rotstiftpolitik pur hat immer katastrophale Folgen.

Dem IOC wird berechtigterweise Olympischer Gigantismus vorgeworfen, auch die Totalvermarktung der sportlichen Höchstleistung, andrerseits garantiert gerade eine Universalität von 199 Mitgliedsländern und das olympische Mammutprogramm mit 300 Entscheidungen in 28 Sportarten, dass viele, sogenannte " nichtmedialverwertbare" Sportarten überhaupt noch in unserem Lande unter "förderungswürdig" beim BMI geführt werden. Wohlbemerkt, es handelt sich diesbezüglich nicht um "Exoten, Trend- oder Randsportarten." Ein Achtungszeichen für die größte Bürgerorganisation in Deutschland, dem DSB mit über 25 Millionen Mitgliedern. Wird einmal die Spitze weggebrochen, bröckelt auch unten alles auseinander und umgekehrt, wer nicht mehr in die Breite investiert und das geht schon in den Kindergärten und beim Schulsport los, kann sich Spitzenleistungen höchstens bei anderen ansehen. Oder man ist so ehrlich zu sagen, dass man gar nicht daran interessier ist.

Olympia war für mich immer mehr als Sieg und Prestige. Die sportliche Spitzenleistung genau auf den Punkt gebracht, mit all ihren menschlichen Aspekten, wie Meisterschaft und Unzulänglichkeit sorgt letztendlich erst für die unübertroffene olympische Anziehungskraft, macht Olympia zum größten Weltsportereignis überhaupt, sowohl für Millionen sportbegeisterter Bildschirmkonsumenten, als auch für die Athleten selbst. Für sie bleibt es die größte Herausforderung in einem Sportlerleben. Der Vierjahresabstand macht eine Olympiateilnahme oft zum unwiederbringlichen Ereignis, auf das man bis zu zehn Jahre hin arbeitet.

Dieses Erlebnis ist allen von ganzem Herzen zu gönnen.

Noch gegenwärtig sind mir die bewegenden Momente beim Einmarsch der Nationen ins Olympiastadion, das unbeschreibliche Flair im Olympischen Dorf, mit den besten Athleten der Welt auf engsten Raum zusammen. Überall freudige und erwartungsvolle Unruhe vor den Wettkämpfen, Bekanntschaften wurden geknüpft und langjährige Freundschaften vertieft. Die Begegnungen mit Aktiven anderer Sportarten führte zu Entdeckungen und ließ den Respekt vor deren Leistungen wachsen. Unvergessliche Erlebnisse mit harten Rivalen im Kampf um die Medaillen und dabei guten Freunden außerhalb der Arena. Sprachbarrieren wurden dabei auch schon früher spielend überbrückt. Mit Japans Turnassen Endo, Ono, Kato oder Kasamatsu kein Problem, da die Turnsprache in Japan deutsch ist. Dazu etwas englisch und alles paletti. Und Russisch war und ist ohnehin im Turnen die Weltsprache Nummer eins. Deutsch - sowjetische Freundschaft, das war für mich keine leere Floskel, wie heute oft zu lesen ist, sondern erlebte und gelebte Realität. Wie bewunderte ich den eisernen Boris Schachlin in Tokio ob seiner Konzentrationsfähigkeit, bis ich fast den eigenen Start verpasste. Diomidow zeigte uns noch beim ersten Podiumstraining in Zeitlupe seinen neuartígen Kreisel am Barren, Klimenko saß auf meinen Knien im vollkommen überfüllten Kino im Dorf von München und zwischen den Lachsalven dolmetschte ich ihm mühsam die Streiche von Bud Spencer und Terence Hill. Kolja Andrianov bekam eins hinter die Löffel, als er mal wieder zu tief ins Glas geschaut hatte. Später nannte er mich "otjetz" (Vater). Als ich den Freunden in München Platz eins im Pferdsprung wegschnappte, umarmte mich ihr Trainer, der legendäre Viktor Tschukarin und sagte, dass ist unsere gemeinsame Goldmedaille. Nach meinem Freund Woronin heißt mein zweiter Sohn Michael. - Ungefähr dreißig mal war ich während meiner Laufbahn in der "Sojus" und habe mich dort immer wie zu Hause gefühlt. Um so mehr blutet mir heute das Herz, wenn mir unser deutscher Meister Sergej Charkow erzählt, dass mit den 1000 Mark, die er regelmäßig nach Hause schickt, nicht nur seine Familie, sondern selbst seine gesamte Verwandtschaft zu den Reichen zählen. 

Alle diese Begegnungen mit Menschen aus aller Welt waren für mich ein Kapitel Olympischer Geist, von dem überall geredet wird, den man aber erst richtig begreift, wenn man Olympia erlebt hat.
Als man die Spiele das erste Mal auf dem fünften Kontinent feierte, starteten noch alle paar Stunden Flugzeuge, die Filmrollen in die Fernsehstudios anderer
Kontinente brachten. Heute ist die Welt rund um die Uhr näher dran als der Zuschauer mit der teuersten Eintrittskarte. Auch das hilft olympische Atmosphäre in die Welt zu tragen. Dabei habe ich nicht die geringsten Illusionen: während in Sydney Medaillen überreicht werden, gibt es in dieser Welt auch Krieg. Und Olympia wird nicht das Geringste daran ändern.

Auch meine erlebten Spiele waren keine ungetrübten Feste der Völkerfreundschaft. Ich denke an das blutige Attentat gegen die Mannschaft Israels in München, als wohl bitterste Stunde der olympischen Geschichte. Zunehmender Kommerz lugte auch schon damals durch alle olympischen Astlöcher.
Und dennoch: Mit den Olympischen Spielen lebt das berühmte Stückchen Hoffnung weiter. Hoffnung auf mehr Frieden und mehr soziale Gerechtigkeit.

Coubertin, der diese Spiele einst schuf und heute immer mehr in Vergessenheit gerät, weil seine Thesen absolut nicht in die Zeit totaler Kommerzialisierung passen, hat einmal geschrieben: "Von den Völkern zu fordern, einander zu lieben, ist lediglich eine Art Kinderei. Ihnen abzuverlangen, sich zu respektieren, ist durchaus keine Utopie; aber um sich zu respektieren, muss man sich zunächst einmal kennen lernen."

Ich bin durchaus davon überzeugt, dass die Olympischen Spiele bis heute eine Art Universität des Kennenlernens geblieben sind.

 
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-schm- 16-09-2000