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13-Nov-2000

Zukunft am Schwebebalken in der Schwebe

Kaum Hoffnung auf bessere Zeiten bei deutschen Kunstturnerinnen /
Noch-Teamchef Koch übt Kritik / SC Berlin Meister

Von Katja Sturm    (- nach dem Bundesliga-Finale 2000)
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Gerade eben hatte sich Katja Abel vom Sprungpferd abgedrückt. Bruchteile von Sekunden später landete sie im sicheren Stand. Und noch als sie pflichtgemäss den Kampfrichterinnen an ihrem abschliessenden Gerät im Bundesliga-Finale der Kunstturnerinnen in Frankfurt einen letzten höflichen Gruss zukommen liess, wendete sich Wolfgang Riedel ab. "Das war's!", konstatierte der Trainer des SC Berlin, für den die 17 Jahre alte Nationalturnerin Abel auf Punktejagd gewesen war. "Mehr können wir nicht tun." Und warum auch? Schliesslich langten die insgesamt 138,638 Punkte den Geräteakrobatinnen aus der Hauptstadt, um nach drei Jahren den Deutschen Mannschaftsmeistertitel wieder an sich zu reissen,

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Katja Abel, SC Berlin

ihn den Titelverteidigerinnen vom Turnteam TOYOTA Köln (135,250), für die zu diesem Zeitpunkt noch zwei Übungen ausstanden, aus den Händen zu nehmen. Allein mit dem Sieg in der inoffiziellen Einzelwertung durch Birgit Schweigert (37,00) durften sichj die Kölnerinnen ein wenig trösten. Die Deutsche Mehrkampfmeisterin konnte trotz eines Sturzes am Boden die für den drittplatzierten TV Baumbach startende rumänische Medaillengewinnerin der Junioren -EM in Paris, Silvia Stroescu (36,588), auf Rang zwei verweisen.

Keine neuen Erkenntnisse...
Die parallel zum Endkampf der Bundesliga, die, weil nur aus jeweils einem Vorkampf und einem Finale bestehend, diesen Titel eigentlich gar nicht verdient, ausgetragene Kaderüberprüfung brachte zumindest für den noch amtierenden Teamchef Dieter Koch 'keine neuen Erkenntnisse'. Ein Jahr nach Verpassen der Mannschaftsqualifikation für die Olympischen Spiele in Sydney, drei Monate nach der Entscheidung des Nationalen Olympischen Komitees (NOK) keine deutschen Einzelturnerinnen nach Sydney zu schicken, sieht das Kunstturnen der Frauen hierzulande nicht nur was die Förderung angeht einer düsteren Zukunft entgegen.
"Im Nachwuchsbereich tut sich nichts wirklich Neues", erklärt Koch. Ausserder 15jährigen Daria Bijak aus Greven, die seit Jahren ihre Altersklasse auf nationaler Ebenne dominiert und ab 2001 international bei den Aktiven startberechtigt ist, biete sich niemand für den Sprung in den Kader für die kommende Weltmeisterschaft im belgischen Gent an. Und auch dahinter steckte nicht das Potential, das die derzeitigen Leistungsträgerinnen hätten. So wird, wer auch immer für das deutsche Team verantwortlich zeichnet, erst einmal auf die bewährten Athletinnen zurückgreifen müssen. Koch wird das aller Voraussicht nicht mehr sein.Der Deutsche Turner-Bund (DTB) wird, obwohl es bereits mündliche Zusagen gegeben haben soll, den Kontrakt mit ihm als Teamchef nicht mehr verlängern. "Warum, weiss ich noch nicht so richtig", sagt Koch."Aber formal heisst es, wegen Erfolglosigkeit", was er "so nicht im Raum stehen lassen will". Schliesslich hätte man ihm - trotz seines unschönen Auftrittes bei einer Pressekonferenz - nach der WM in Tianjin das Vertrauen ausgesprochen, und bei der EM ein halbes Jahr später in Paris hätten die deutschen Turnerinnen, unter anderem mit einem 12.Platz im Mehrkampf, "das beste Ergebnis seit der Wiedervereinigung" eingeturnt, nur ganz knapp die "astronomisch hohen Kriterien" des NOK verpasst. Darüber hinaus hätte Koch selbst sich, wären ihm die Pläne des DTB früher mitgeteilt worden, "beruflich anders orientieren können", sich von der Schule, an der er als Lehrer tätig ist, nicht erneut freistellen lassen.

Doch ob Teamchef oder nicht, Dieter Koch übt harsche Kritik an der derzeitigen Situation im deutschen Kunstturnen. Vor der EMhätten alle an einem Strang gezogen, sich regelrecht zusammen gerauft, jetzt aber hänge man in der Luft, keiner wisse, wie es weitergehen soll, von Seiten des Sportdirektors Wolfgang Willam kämen nur ungenaue Informationen. Wenn man Anschluss an die erweiterte Nationen-Wertung behalten will", müsse man die Kräfte so schnell wie möglich bündeln, die Turnerinnen öfter zu Lehrgängen zusammenziehen, sie sich miteinander vergleichen lassen und permanente Leistungskontrollen durchführen.
Hoffnung auf eine Besserung der Situation setzt Koch in die Wahlen am kommenden Wochenende beim Deutschen Turntag in Leipzig, wo voraussichtlich der Schwabe Rainer Brechtken den bisherigen DTB-Präsidenten Jürgen Dickert ablösen wird. Von diesem erhofft sich auch Dieter Kochs Frau Ulla "Signale für den Spitzensport".
Die bisherige Vorsitzende des Technischen Komitees Kunstturnen der Frauen wird selbst nicht mehr für einen Posten im neu zu besetzenden Fachausschuss für das Gerät- und Kunstturnen zur Verfügung stehen. Nach acht Jahren Tätigkeit hat sie resigniert, auch "vor der Unprofessionalität, mit der beim DTB mit Ehren- und Hauptamtlichen umgegangen wird." Sie stelle sich der Frage, "ob man es in unserem System noch verantworten kann, dass Turnerinnen 25 bis 30 Stunden Training auf sich nehmen". An ihrem bisherigen Engagement als Trainerin wird sich jedoch nichts ändern. "Ich liebe diesen Sport", sagt sie, "und die Turnerinnen, die verrückt genug sind, ihn auf sich zu nehmen, die werde ich dabei unterstützen."  (Katja Sturm/Frankfurter Rundschau)

(Quelle: Frankfurter Rundschau)

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