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Gerade eben hatte sich Katja
Abel vom Sprungpferd abgedrückt. Bruchteile von Sekunden später landete sie im
sicheren Stand. Und noch als sie pflichtgemäss den Kampfrichterinnen an ihrem
abschliessenden Gerät im Bundesliga-Finale der Kunstturnerinnen in Frankfurt einen
letzten höflichen Gruss zukommen liess, wendete sich Wolfgang Riedel ab. "Das
war's!", konstatierte der Trainer des SC Berlin, für den die 17 Jahre alte
Nationalturnerin Abel auf Punktejagd gewesen war. "Mehr können wir nicht tun."
Und warum auch? Schliesslich langten die insgesamt 138,638 Punkte den Geräteakrobatinnen
aus der Hauptstadt, um nach drei Jahren den Deutschen Mannschaftsmeistertitel
wieder an sich zu reissen, |
Katja Abel, SC Berlin
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ihn den Titelverteidigerinnen vom Turnteam
TOYOTA Köln (135,250), für die zu diesem Zeitpunkt noch zwei Übungen
ausstanden, aus den Händen zu nehmen. Allein mit dem Sieg in der inoffiziellen
Einzelwertung durch Birgit Schweigert (37,00) durften sichj die
Kölnerinnen ein wenig trösten. Die Deutsche Mehrkampfmeisterin konnte trotz eines
Sturzes am Boden die für den drittplatzierten TV Baumbach startende rumänische
Medaillengewinnerin der Junioren -EM in Paris, Silvia Stroescu (36,588), auf Rang zwei
verweisen. |
Keine neuen
Erkenntnisse...
Die parallel zum Endkampf der Bundesliga, die, weil nur aus jeweils einem Vorkampf
und einem Finale bestehend, diesen Titel eigentlich gar nicht verdient, ausgetragene Kaderüberprüfung
brachte zumindest für den noch amtierenden Teamchef Dieter Koch 'keine
neuen Erkenntnisse'. Ein Jahr nach Verpassen der Mannschaftsqualifikation für die
Olympischen Spiele in Sydney, drei Monate nach der Entscheidung des Nationalen Olympischen
Komitees (NOK) keine deutschen Einzelturnerinnen nach Sydney zu schicken, sieht das
Kunstturnen der Frauen hierzulande nicht nur was die Förderung angeht einer düsteren
Zukunft entgegen.
"Im Nachwuchsbereich tut sich nichts wirklich
Neues", erklärt Koch. Ausserder 15jährigen Daria Bijak aus Greven,
die seit Jahren ihre Altersklasse auf nationaler Ebenne dominiert und ab 2001
international bei den Aktiven startberechtigt ist, biete sich niemand für den Sprung in
den Kader für die kommende Weltmeisterschaft im belgischen Gent an. Und auch dahinter
steckte nicht das Potential, das die derzeitigen Leistungsträgerinnen hätten. So wird,
wer auch immer für das deutsche Team verantwortlich zeichnet, erst einmal auf die
bewährten Athletinnen zurückgreifen müssen. Koch wird das aller Voraussicht nicht mehr
sein.Der Deutsche Turner-Bund (DTB) wird, obwohl es bereits mündliche Zusagen gegeben
haben soll, den Kontrakt mit ihm als Teamchef nicht mehr verlängern. "Warum, weiss
ich noch nicht so richtig", sagt Koch."Aber formal heisst es, wegen
Erfolglosigkeit", was er "so nicht im Raum stehen lassen will".
Schliesslich hätte man ihm - trotz seines unschönen Auftrittes bei einer Pressekonferenz
- nach der WM in Tianjin das Vertrauen ausgesprochen, und bei der EM ein halbes Jahr
später in Paris hätten die deutschen Turnerinnen, unter anderem mit einem 12.Platz im
Mehrkampf, "das beste Ergebnis seit der Wiedervereinigung" eingeturnt, nur ganz
knapp die "astronomisch hohen Kriterien" des NOK verpasst. Darüber hinaus
hätte Koch selbst sich, wären ihm die Pläne des DTB früher mitgeteilt worden,
"beruflich anders orientieren können", sich von der Schule, an der er als
Lehrer tätig ist, nicht erneut freistellen lassen.
Doch ob Teamchef oder nicht, Dieter
Koch übt harsche Kritik an der derzeitigen Situation im deutschen Kunstturnen.
Vor der EMhätten alle an einem Strang gezogen, sich regelrecht zusammen gerauft, jetzt
aber hänge man in der Luft, keiner wisse, wie es weitergehen soll, von Seiten des
Sportdirektors Wolfgang Willam kämen nur ungenaue Informationen. Wenn man
Anschluss an die erweiterte Nationen-Wertung behalten will", müsse man die Kräfte
so schnell wie möglich bündeln, die Turnerinnen öfter zu Lehrgängen zusammenziehen,
sie sich miteinander vergleichen lassen und permanente Leistungskontrollen durchführen.
Hoffnung auf eine Besserung der Situation
setzt Koch in die Wahlen am kommenden Wochenende beim Deutschen Turntag in Leipzig, wo
voraussichtlich der Schwabe Rainer Brechtken den bisherigen
DTB-Präsidenten Jürgen Dickert ablösen wird. Von diesem erhofft sich auch Dieter Kochs
Frau Ulla "Signale für den Spitzensport".
Die bisherige Vorsitzende des Technischen Komitees Kunstturnen der Frauen wird
selbst nicht mehr für einen Posten im neu zu besetzenden Fachausschuss für das Gerät-
und Kunstturnen zur Verfügung stehen. Nach acht Jahren Tätigkeit hat sie resigniert,
auch "vor der Unprofessionalität, mit der beim DTB mit Ehren- und Hauptamtlichen
umgegangen wird." Sie stelle sich der Frage, "ob man es in unserem System noch
verantworten kann, dass Turnerinnen 25 bis 30 Stunden Training auf sich nehmen". An
ihrem bisherigen Engagement als Trainerin wird sich jedoch nichts ändern. "Ich liebe
diesen Sport", sagt sie, "und die Turnerinnen, die verrückt genug sind, ihn auf
sich zu nehmen, die werde ich dabei unterstützen." (Katja
Sturm/Frankfurter Rundschau)
(Quelle: Frankfurter Rundschau) |