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Ein Wiedersehen mit:

Bernd Jäger - einstiger Erfinder des Jägersaltos
- the inventor of the "Jaeger sault"

       
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Bernd Jäger 
World Championships, Varna 1974
(Source: Flick Flack... Goetze/Zeume)

Als finnischer Nationaltrainer war er für drei Jahre ein „Finne auf Zeit“ und führte Jari Tanskanen bei den WM 1997 in Lausanne zum Titelgewinn im Reckturnen, und Jari Mönkkönen gewann mit ihm als Betreuer die Silbermedaille am gleichen Gerät bei den EM 1998 in St. Petersburg. Nach erfolgreicher Tätigkeit in Finnland beendete Bernd Jäger mit den EM in Bremen am 15. Juni 2000 seine Tätigkeit im Land der tausend Seen. Danach setzte für den früheren Potsdamer Weltklasseturner und späteren Cheftrainer des ASK und des OSC Potsdam eine Odysseus besonderer Art ein. 
GYMmedia-Miarbeiter Hans-Jürgen ZEUME sprach mit dem Erfinder des Jägersaltos.

HJZ: - Wenn man aus dem EU-Land Finnland in das EU-Land Deutschland heimkehrt, dann dürfte das doch nach dreijähriger Tätigkeit kein Problem sein, wieder ordentlich zu Hause begrüßt und aufgenommen zu werden?

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JÄGER:  Das hatte ich auch vermutet. Vorsichtshalber hatte ich mich schon im März 2000 nach dem Turnier der Meister in Cottbus beim Arbeitsamt in Potsdam erkundigt, was mich nach meiner Zeit in Finnland erwartet. Man sagte mir dort, daß ich von ihnen erst betreut werden könne, wenn ich 14 Tage versicherungspflichtig erfaßt worden sei. Ich würde nur vergütet werden nach dem, was ich vorher in Deutschland getan hätte.
- HJZ: - Klingt spannend, was Sie nach der Rückkehr erwartete...?

JÄGER:  Wurde es auch. Ich meldete mich bei einer Zeitfirma und bekam als ersten Auftrag, während der Love Parade als Bodyguard zu arbeiten. Auf dem Bahnhof Rathenow hatte ich mit zwei anderen einen zweitägigen Einsatz. Die nächste Arbeit war für ein Stromversorgungs-Projekt in Geltow Kabelgräben mit der Hand zu schippen. Drei Wochen lang. Die Leute, mit denen ich arbeitete, waren prima. Nun hatte ich meinen Schein zur „Wiedereingliederung“ für das Arbeitsamt. Dann habe ich mich daran gemacht, Bewerbungen zu schreiben.


Jäger und Mönkönen in Cottbus

- HJZ: - Sie scheinen, so klingt es aus Ihrer Stimme, mit gesundem Optimismus ins neue Jahrtausend gegangen zu sein?

JÄGER:  Stimmt, denn ich habe mehrere Angebote bekommen und hoffe noch in diesem Monat einen guten Arbeitsvertrag unterschreiben zu können.


Jäger mit Ringe-Olympiasieger Holger Behrendt

- HJZ: - Im Ausland?

JÄGER:  Nein.

- HJZ: - Im Land Brandenburg oder in Berlin?

JÄGER:  Nein.

- HJZ: - In den neuen Bundesländern?

JÄGER:  Nein.

- HJZ: - Sie haben 1974 vor den WM in Warna bei einem Länderkampf den Jäger-Salto, einen Grätschsalto vorwärts in den Hang am Reck, das erste Mal gezeigt. War das nicht ein gewisses Risiko, daß Ihnen ein anderer die neuartige und kreative Flugschau als WM-Uraufführung stehlen könnte?

JÄGER:  Die Uraufführung war Mitte September beim Länderkampf in der Schweiz in Altstätten, die WM fanden fünf Wochen später statt. Die Erarbeitung des Elements hatte mich ein gutes Jahr in Anspruch genommen, so daß es in der Kürze der Zeit für mich kein Risiko war. Im Gegenteil. Es ist im Turnen schon wichtig, daß bestimmte Personen wissen, was dann so bei den WM an neuen Elementen kommt. Oftmals gehen Neuigkeiten unter Umständen unter. Deshalb ist so ein Test vor WM oder vor Olympischen Spielen wichtig, damit die Kampfrichter einfach aufmerksam werden.

- HJZ: - Von wem stammte die Idee des Jäger-Salto, der ein neues Flug-Zeitalter im Reckturnen einleitete?

JÄGER:  Mein Trainer damals im ASK Potsdam war Richard Karstedt - und die Idee stammt eigentlich von Karin Janz, einer Turnerin. Sie hatte am Stufenbarren die Janz-Rolle geturnt und war mit ihr 1972 in München Olympiasiegerin geworden. Das Problem bestand für mich damals darin, daß ich am Boden und am Sprung gewissermaßen eine „Niete“ war und mußte, um die Qualifikation zu den WM zu schaffen, an einem anderen Gerät mit einer Spitzenleistung aufwarten. Das DDR-Turnen hatte damals einen sehr hohen Standard und man mußte schon sehr gute Leistungen bringen, um in die Mannschaft zu kommen. Mein Trainer hat damals am Reck gesagt, du bist koordinativ sehr begabt, es wäre eine Variante, ein völlig neues Flugelement zu probieren. Es gab ja damals bis auf die Lissizki-Bücke über die Stange in den Hang geturnt noch keine Saltobewegung. Wir haben es versucht, und es ging relativ schnell am Anfang, obwohl einige dachten, es geht nicht.

  - HJZ: - Wie hoch war die Fehlerquote im Training?

JÄGER:  Eigentlich nicht sehr hoch. Ich habe mit der Methode angefangen, zuerst in der Longe zu hängen, was heute überhaupt nicht mehr üblich ist. Es war ja damals noch Neuland und dementsprechend wurde auch viel abgesichert. Heute macht das ein Turner mit den entsprechenden Grundlagen - und dann stellt sich heraus, man kann es oder man kann es nicht.

- HJZ: - Aber Sie hatten nicht nur die zwei schwachen Geräte Boden und Sprung, Sie waren bei den WM 1974 auch am Barren und am Reck im Finale. Und Sie haben mit der DDR-Riege auch bei den Olympischen Spielen 1976 die Bronzemedaille gewonnen. Welche Erinnerungen haben Sie noch daran?

JÄGER:  Die WM 1974 waren mein Start in die Nationalmannschaft. Ich bin am Barren und am Reck im Finale gewesen, ich war aber auch am Seitpferd und an den Ringen ganz gut. Aber Boden und Sprung war, wie gesagt, unter der Gürtellinie. Ich denke, daß einfach das Bestreben da war, auch zu Olympia eine Medaille zu gewinnen. Und dazu muß man sich als Turner auch schinden und durchkämpfen können. Mit Fun alleine wie das heute einige glauben, geht das nicht, weder in der Turnhalle, noch von der Zuschauertribüne oder vom Journalistenplatz. Die Medaille am Barren war bei den WM ganz knapp verpaßt - und am Reck haben wir bis zuletzt gepokert, Dreifachsalto oder Doppelsalto mit ganzer Drehung. Der Dreifache war nicht allzu sehr stabil - von zehn Versuchen sind nur etwa sechs in den Stand gekommen. Unmittelbar vor dem Wettkampf entschieden wir deshalb, den alten Abgang und nicht den kühnen Dreifachen zu turnen, was eine Fehlentscheidung war. Ich habe mich nämlich bei der Landung auf den Hintern gesetzt. Platz fünf. Eberhard Gienger gewann Gold, Wolfgang Thüne Silber ...!

- HJZ: - Der Jäger-Salto hat Sie weltberühmt gemacht, auch weil Sie das Reckturnen revolutionierten und in eine ganz neue Richtung getrieben haben. Nach ihnen kamen neue Flugelemente - Deltschew und Gienger, Tkatschow und Kovacs, Pogorelow, Gaylord und andere. Ist diese Erfindung für Sie das herausragende Ereignis Ihres Turnerlebens oder waren es die Medaillen?

JÄGER:  Es macht mich heute schon stolz, immer mal wieder wegen des Saltos angesprochen zu werden. Viele sagen, sie sind froh, einmal mit dem Erfinder zusammenzutreffen. Wer ist nicht stolz, bei einem Element mal der Erste gewesen zu sein. Der Jäger-Salto ist heute ein Allerweltsteil und nur noch als C eingestuft, es gibt schon D und E. Für meine finnischen Turner ist mein Salto kein Problem. Es gibt wesentlich schwierigere Flugelemente.

- HJZ: - Erzählen Sie etwas von den Finnen.

B.J.: Im März 1997 kam beim Turnier der Meister in Cottbus der Kontakt zu den Finnen. Das hing damit zusammen, daß Heinz-Dieter Schulze, der frühere Trainer von Olympiasieger Roland Brückner oder auch der Nikolay-Zwillinge, von 1990 bis 1991 in Finnland als Trainer gearbeitet hat.

Bernd Jäger (re) - Besuch seiner thüringischen Heimatstadt Stadtroda, Treffen im historischen "Hotel Hammermühle" mit Ex-Schützling und Reck-Weltmeister Ralf Büchner.
In der Mitte der turnbegeisterte "Hammermüller" 
Hans- Günther Lennartz

Die Finnen haben mich eingeladen, ich konnte mir alles ansehen und mich von ihrem Leistungsniveau überzeugen. Ich habe danach gesagt, es ist möglich, mit dieser Nation die Olympia-Qualifikation für Sydney 2000 zu schaffen. Es würde zwar schwer werden, ich habe es mir trotzdem zugetraut. Dann kam in kurzer Zeit ein Vertrag zustande, der auf ein Jahr befristet war, von 1997 bis 1998. Und wir sind sehr schnell beim Weltmeistertitel gelandet. Es war vielleicht gar nicht so gut. Man ist da zu schnell in Euphorie verfallen.

- HJZ: - War der Titelgewinn von Jari Tanskanen in Lausanne 1997 Ihr Verdienst oder war er aus der Situation heraus entstanden?

JÄGER:  Die Elemente konnte Jari Tanskanen von der Sache her. Das Problem war eigentlich das Selbstvertrauen. Er konnte schon reckturnen. Wichtig war es, sich im entscheidenden Augenblick auch etwas zuzutrauen. Ich habe ihm nichts beigebracht, ich habe lediglich die Übung umgestellt, daß es genau auf die Zehn paßte. Damals hatten noch nicht so viele Turner eine Übung mit einem Ausgangswert von 10 Punkten. Und dann kam es nur noch darauf an, ihn psychologisch einzustellen. Wenn er gewinnen wolle, brauche er nur sein Zeug perfekt turnen.

- HJZ: - Lebten Sie getrennt von Ihrer Familie in Finnland oder pendelten Sie ständig zwischen Potsdam und Helsinki?

JÄGER:  Ich wohnte in Jyveskylä, das ist eine Stadt etwa 300 Kilometer nördlich von Helsinki, zusammen mit meinem Sohn, der dort auch  zur Schule ging. Mein Frau ist Lehrerin an der Eliteschule des Sports in Potsdam. Sie hätte mit uns nach Finnland kommen können. Aber man gibt natürlich in komplizierten Zeiten eine so gute Stelle als Lehrerin nicht auf.

  - HJZ: - Es gibt mehrere berühmte japanische Turner wie zum Beispiel Tsukahara, deren Söhne auch Weltklasse-Turner wurden. Wie ist das mit Ihrem Sohn?

JÄGER:  Mein Sohn hat angefangen mit dem Turnen als Sechsjähriger. Er ist jetzt 18. Ich hatte ihn damals immer mitgenommen in die Turnhalle, ohne ihn zu beeinflussen, ein guter Turner zu werden. Er war auch bis zehn Jahren sehr, sehr gut und hat in Potsdam alles gewonnen, was es zu gewinnen gab. Er hatte dann eine schwere Krankheit mit den Lymphdrüsen und fiel ein halbes Jahr aus. Er hat an Gewicht zugenommen und danach kein richtiges Interesse mehr. Ich habe ihn zum Weiterturnen nicht überzeugt. Wenn es nicht selbst von Innen heraus kommt, hat es keinen Sinn. Man kann sein Kind nicht zwingen.

  - HJZ: - Was macht er jetzt für einen Sport?

JÄGER:  Sehr, sehr wenig. Er macht mehr Musik und pflegt Sprachen. Er hat die meisten Teile seines Abiturs in Finnland abgelegt und lernt nun an einem Gymnasium in Potsdam, um es mit dem deutschen Abitur abzuschließen. Ich kann nicht halb so gut englisch, finnisch und schwedisch wie mein Sohn.

- HJZ: - Finnisch gilt als eine der schwersten Sprachen...

JÄGER:  Ich kann es nicht sehr viel. Meine Turner sprachen alle sehr gut deutsch und englisch, und ich war nicht gezwungen, finnisch zu sprechen, aber auch, weil ich immer dachte, Du bist bald wieder zu Hause, deshalb habe ich finnisch nicht echt richtig gelernt.

- HJZ: - Warum haben die Finnen den Vertrag mit Ihnen nicht verlängert?

JÄGER:  Der Vertrag war von Anfang an auf Olympia 2000 konzipiert. Bei den WM 1999 in China haben die Finnen leider nicht gut geturnt. Das lag meiner Ansicht daran, daß sie an ihrer eigenen Aufgabenstellung gescheitert sind. Sie hatten sich sehr viel vorgenommen und dort plötzlich gesehen, die anderen können auch turnen. Sie sind dann wie die Maus vor der Schlange in die Knie gegangen. So hatten sie leider dann bei der WM ihren schlechtesten Wettkampf der ganzen Saison abgeliefert.

Interview: Hans-Jürgen Zeume,  03.01.2001
(In Auszügen ebenfalls erschienen im NEUEN DEUTSCHLAND, 03.03.2001)

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