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JÄGER:
Das hatte ich
auch vermutet. Vorsichtshalber hatte ich mich schon im März 2000
nach dem Turnier der Meister in Cottbus beim Arbeitsamt in Potsdam
erkundigt, was mich nach meiner Zeit in Finnland erwartet. Man
sagte mir dort, daß ich von ihnen erst betreut werden könne,
wenn ich 14 Tage versicherungspflichtig erfaßt worden sei. Ich würde
nur vergütet werden nach dem, was ich vorher in Deutschland getan
hätte.
-
HJZ: - Klingt spannend, was Sie nach der Rückkehr
erwartete...?
JÄGER:
Wurde es auch.
Ich meldete mich bei einer Zeitfirma und bekam als ersten Auftrag,
während der Love Parade als Bodyguard zu arbeiten. Auf dem
Bahnhof Rathenow hatte ich mit zwei anderen einen zweitägigen
Einsatz. Die nächste Arbeit war für ein Stromversorgungs-Projekt
in Geltow Kabelgräben mit der Hand zu schippen. Drei Wochen lang.
Die Leute, mit denen ich arbeitete, waren prima. Nun hatte ich
meinen Schein zur „Wiedereingliederung“ für das Arbeitsamt.
Dann habe ich mich daran gemacht, Bewerbungen zu schreiben. |
Jäger und Mönkönen in Cottbus
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-
HJZ: - Sie scheinen, so klingt es aus Ihrer Stimme, mit
gesundem Optimismus ins neue Jahrtausend gegangen zu sein?
JÄGER:
Stimmt, denn ich
habe mehrere Angebote bekommen und hoffe noch in diesem Monat einen guten
Arbeitsvertrag unterschreiben zu können.
Jäger mit
Ringe-Olympiasieger Holger Behrendt
|
-
HJZ: - Im Ausland?
JÄGER:
Nein.
-
HJZ: - Im Land Brandenburg oder in Berlin?
JÄGER:
Nein.
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HJZ: - In den neuen Bundesländern?
JÄGER:
Nein. |
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HJZ: - Sie haben 1974 vor den WM in Warna bei einem Länderkampf
den Jäger-Salto, einen Grätschsalto vorwärts in den Hang am Reck, das
erste Mal gezeigt. War das nicht ein gewisses Risiko, daß Ihnen ein
anderer die neuartige und kreative Flugschau als WM-Uraufführung stehlen
könnte?
JÄGER: Die Uraufführung war Mitte September beim Länderkampf in der
Schweiz in Altstätten, die WM fanden fünf Wochen später statt. Die
Erarbeitung des Elements hatte mich ein gutes Jahr in Anspruch genommen,
so daß es in der Kürze der Zeit für mich kein Risiko war. Im Gegenteil.
Es ist im Turnen schon wichtig, daß bestimmte Personen wissen, was dann
so bei den WM an neuen Elementen kommt. Oftmals gehen Neuigkeiten unter
Umständen unter. Deshalb ist so ein Test vor WM oder vor Olympischen
Spielen wichtig, damit die Kampfrichter einfach aufmerksam werden.
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HJZ: - Von wem stammte die Idee des Jäger-Salto, der ein neues
Flug-Zeitalter im Reckturnen einleitete?
JÄGER:
Mein Trainer damals
im ASK Potsdam war Richard Karstedt - und die Idee stammt eigentlich von
Karin Janz, einer Turnerin. Sie hatte am Stufenbarren die Janz-Rolle
geturnt und war mit ihr 1972 in München Olympiasiegerin geworden. Das
Problem bestand für mich damals darin, daß ich am Boden und am Sprung
gewissermaßen eine „Niete“ war und mußte, um die Qualifikation zu
den WM zu schaffen, an einem anderen Gerät mit einer Spitzenleistung
aufwarten. Das DDR-Turnen hatte damals einen sehr hohen Standard und man
mußte schon sehr gute Leistungen bringen, um in die Mannschaft zu kommen.
Mein Trainer hat damals am Reck gesagt, du bist koordinativ sehr begabt,
es wäre eine Variante, ein völlig neues Flugelement zu probieren. Es gab
ja damals bis auf die Lissizki-Bücke über die Stange in den Hang geturnt
noch keine Saltobewegung. Wir haben es versucht, und es ging relativ
schnell am Anfang, obwohl einige dachten, es geht nicht.
-
HJZ: - Wie hoch war die Fehlerquote im Training?
JÄGER: Eigentlich nicht sehr hoch. Ich habe mit der Methode angefangen,
zuerst in der Longe zu hängen, was heute überhaupt nicht mehr üblich
ist. Es war ja damals noch Neuland und dementsprechend wurde auch viel
abgesichert. Heute macht das ein Turner mit den entsprechenden Grundlagen
- und dann stellt sich heraus, man kann es oder man kann es nicht.
-
HJZ: - Aber Sie hatten nicht nur die zwei schwachen Geräte
Boden und Sprung, Sie waren bei den WM 1974 auch am Barren und am Reck im
Finale. Und Sie haben mit der DDR-Riege auch bei den Olympischen Spielen
1976 die Bronzemedaille gewonnen. Welche Erinnerungen haben Sie noch
daran?
JÄGER: Die WM 1974 waren mein Start in die Nationalmannschaft. Ich bin am
Barren und am Reck im Finale gewesen, ich war aber auch am Seitpferd und
an den Ringen ganz gut. Aber Boden und Sprung war, wie gesagt, unter der Gürtellinie.
Ich denke, daß einfach das Bestreben da war, auch zu Olympia eine
Medaille zu gewinnen. Und dazu muß man sich als Turner auch schinden und
durchkämpfen können. Mit Fun alleine wie das heute einige glauben, geht
das nicht, weder in der Turnhalle, noch von der Zuschauertribüne oder vom
Journalistenplatz. Die Medaille am Barren war bei den WM ganz knapp verpaßt
- und am Reck haben wir bis zuletzt gepokert, Dreifachsalto oder
Doppelsalto mit ganzer Drehung. Der Dreifache war nicht allzu sehr stabil
- von zehn Versuchen sind nur etwa sechs in den Stand gekommen.
Unmittelbar vor dem Wettkampf entschieden wir deshalb, den alten Abgang
und nicht den kühnen Dreifachen zu turnen, was eine Fehlentscheidung war.
Ich habe mich nämlich bei der Landung auf den Hintern gesetzt. Platz fünf.
Eberhard Gienger gewann Gold, Wolfgang Thüne Silber ...!
-
HJZ: - Der Jäger-Salto hat Sie weltberühmt gemacht,
auch weil Sie das Reckturnen revolutionierten und in eine ganz
neue Richtung getrieben haben. Nach ihnen kamen neue Flugelemente
- Deltschew und Gienger, Tkatschow und Kovacs, Pogorelow, Gaylord
und andere. Ist diese Erfindung für Sie das herausragende
Ereignis Ihres Turnerlebens oder waren es die Medaillen?
JÄGER:
Es macht
mich heute schon stolz, immer mal wieder wegen des Saltos
angesprochen zu werden. Viele sagen, sie sind froh, einmal mit dem
Erfinder zusammenzutreffen. Wer ist nicht stolz, bei einem Element
mal der Erste gewesen zu sein. Der Jäger-Salto ist heute ein
Allerweltsteil und nur noch als C eingestuft, es gibt schon D und
E. Für meine finnischen Turner ist mein Salto kein Problem. Es
gibt wesentlich schwierigere Flugelemente.
-
HJZ: - Erzählen Sie etwas von den Finnen.
B.J.: Im März 1997
kam beim Turnier der Meister in Cottbus der Kontakt zu den Finnen.
Das hing damit zusammen, daß Heinz-Dieter Schulze, der frühere
Trainer von Olympiasieger Roland Brückner oder auch der
Nikolay-Zwillinge, von 1990 bis 1991 in Finnland als Trainer
gearbeitet hat. |
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Bernd
Jäger (re) - Besuch seiner thüringischen Heimatstadt
Stadtroda, Treffen im historischen "Hotel Hammermühle" mit
Ex-Schützling und Reck-Weltmeister Ralf Büchner.
In der Mitte
der turnbegeisterte "Hammermüller"
Hans- Günther
Lennartz |
Die
Finnen haben mich eingeladen, ich konnte mir alles ansehen und
mich von ihrem Leistungsniveau überzeugen. Ich habe danach
gesagt, es ist möglich, mit dieser Nation die
Olympia-Qualifikation für Sydney 2000 zu schaffen. Es würde
zwar schwer werden, ich habe es mir trotzdem zugetraut. Dann kam
in kurzer Zeit ein Vertrag zustande, der auf ein Jahr befristet
war, von 1997 bis 1998. Und wir sind sehr schnell beim
Weltmeistertitel gelandet. Es war vielleicht gar nicht so gut.
Man ist da zu schnell in Euphorie verfallen. |
-
HJZ: - War der Titelgewinn von Jari Tanskanen in Lausanne 1997
Ihr Verdienst oder war er aus der Situation heraus entstanden?
JÄGER: Die Elemente konnte Jari Tanskanen von der Sache her. Das Problem
war eigentlich das Selbstvertrauen. Er konnte schon reckturnen. Wichtig
war es, sich im entscheidenden Augenblick auch etwas zuzutrauen. Ich habe
ihm nichts beigebracht, ich habe lediglich die Übung umgestellt, daß es
genau auf die Zehn paßte. Damals hatten noch nicht so viele Turner eine
Übung mit einem Ausgangswert von 10 Punkten. Und dann kam es nur noch
darauf an, ihn psychologisch einzustellen. Wenn er gewinnen wolle, brauche
er nur sein Zeug perfekt turnen.
-
HJZ: - Lebten Sie getrennt von Ihrer Familie in Finnland oder
pendelten Sie ständig zwischen Potsdam und Helsinki?
JÄGER: Ich wohnte in Jyveskylä, das ist eine Stadt etwa 300 Kilometer nördlich
von Helsinki, zusammen mit meinem Sohn, der dort auch zur Schule
ging. Mein Frau ist Lehrerin an der Eliteschule des Sports in Potsdam. Sie
hätte mit uns nach Finnland kommen können. Aber man gibt natürlich in
komplizierten Zeiten eine so gute Stelle als Lehrerin nicht auf.
-
HJZ: - Es gibt mehrere berühmte japanische Turner wie zum
Beispiel Tsukahara, deren Söhne auch Weltklasse-Turner wurden. Wie ist
das mit Ihrem Sohn?
JÄGER: Mein Sohn hat angefangen mit dem Turnen als Sechsjähriger. Er ist
jetzt 18. Ich hatte ihn damals immer mitgenommen in die Turnhalle, ohne
ihn zu beeinflussen, ein guter Turner zu werden. Er war auch bis zehn
Jahren sehr, sehr gut und hat in Potsdam alles gewonnen, was es zu
gewinnen gab. Er hatte dann eine schwere Krankheit mit den Lymphdrüsen
und fiel ein halbes Jahr aus. Er hat an Gewicht zugenommen und danach kein
richtiges Interesse mehr. Ich habe ihn zum Weiterturnen nicht überzeugt.
Wenn es nicht selbst von Innen heraus kommt, hat es keinen Sinn. Man kann
sein Kind nicht zwingen.
-
HJZ: - Was macht er jetzt für einen Sport?
JÄGER: Sehr, sehr wenig. Er macht mehr Musik und pflegt Sprachen. Er hat
die meisten Teile seines Abiturs in Finnland abgelegt und lernt nun an
einem Gymnasium in Potsdam, um es mit dem deutschen Abitur abzuschließen.
Ich kann nicht halb so gut englisch, finnisch und schwedisch wie mein
Sohn.
-
HJZ: - Finnisch gilt als eine der schwersten Sprachen...
JÄGER:
Ich kann es nicht
sehr viel. Meine Turner sprachen alle sehr gut deutsch und englisch, und
ich war nicht gezwungen, finnisch zu sprechen, aber auch, weil ich immer
dachte, Du bist bald wieder zu Hause, deshalb habe ich finnisch nicht echt
richtig gelernt.
-
HJZ: - Warum haben die Finnen den Vertrag mit Ihnen nicht verlängert?
JÄGER:
Der Vertrag war von Anfang an auf
Olympia 2000 konzipiert. Bei den WM 1999 in China haben die Finnen leider
nicht gut geturnt. Das lag meiner Ansicht daran, daß sie an ihrer eigenen
Aufgabenstellung gescheitert sind. Sie hatten sich sehr viel vorgenommen
und dort plötzlich gesehen, die anderen können auch turnen. Sie sind
dann wie die Maus vor der Schlange in die Knie gegangen. So hatten sie
leider dann bei der WM ihren schlechtesten Wettkampf der ganzen Saison
abgeliefert.
Interview:
Hans-Jürgen Zeume, 03.01.2001
(In Auszügen ebenfalls erschienen im NEUEN DEUTSCHLAND, 03.03.2001) |