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: Wie sind
Deine Erinnerungen an den aller ersten Kontakt mit dem Turnen?
GABI: .Ich habe es
einfach toll gefunden, mich in alle Richtungen bewegen zu können und dass es
moeglich war, in der Luft Drehungen und Salti zu machen und mich frei wie ein Vogel zu
fühlen.

Klein-Gabi's erste Schritte
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Ich habe dann versucht immer
höher
zu springen, um diesen Moment der Schwerelosigkeit mehr genießen zu
können. Natürlich war mir das in diesem Alter (sechs) noch nicht so bewusst, aber im Nachhinein
hatte ich genau dieses Gefühl. Auf dem Foto da, sieht man mich mit 8 Jahren. Ich habe gar
nicht gewusst, das das noch existiert.
: Das haben Deine Eltern herausgekramt....! Gibt es bei Deinen Erinnerungen welche aus der Kategorie "unvergesslich"?
GABI:
Ich denke, die Möglichkeit zu haben, sich in einer solchen Art wie
beim Turnen bewegen zu können, möchte und will ich nie vergessen. Vielleicht ist
das der Grund dafür, warum ich nicht aufhören kann zu turnen. Es scheint fast wie eine
Sucht zu sein.
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: Ein Ergebnis
und Ziel des Turnens ist natürlich Leistung. Hat das Turnen aber noch andere Spuren bei Dir hinterlassen?
GABI:
Natürlich. In jeder Hinsicht! Es hat meine ganze Persönlichkeit
geprägt! Ich
habe gelernt mit Niederlagen umzugehen. Mein Vater sagte immer zu mir, wenn ich bei einem
Wettkampf nicht so gut war, dass eine Niederlage nicht dazu da ist um liegen zu bleiben,
sondern um wieder aufzustehen. Das hat mich stark gemacht. Ich denke, durch das Turnen bin
ich offener und toleranter geworden. Ich habe andere Länder und Kulturen kennen gelernt
und ich habe neue Freunde gewonnen, die auf der anderen Seite der Erde leben.
: Welche
Rolle haben Erwachsene gespielt, als Du als Kind geturnt hast?
GABI:
Ich habe Erwachsene respektiert, aber nur so lange mich diese auch
respektiert haben. Ich war zwar noch jünger, hatte aber bereits meine eigenen Gedanken
und ich wollte, dass man mir nicht alles vorschreibt. Ich denke, dass z.B. eine
Trainer-Turnerin-Beziehung nur dann funktioniert, wenn vernünftig miteinander
kommuniziert wird und nicht einer was sagt und der andere zustimmt. Es soll Teamarbeit
sein, nur dann funktioniert es. Das Schlimmste, was ein Trainer machen kann ist, jemanden
zu etwas zu zwingen. Das schlägt meistens genau ins Gegenteil um.
Auf dem Foto im
Vordergrund (v.l.):
Sandra Weller, Annika Frisch und
Nadja Weller (Schwester)
: Wie
muss man - Deiner Meinung nach - mit kleinen Mädchen umgehen, die im Kunstturnen einmal ganz nach oben sollen?
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1987: Nur Fliegen ist noch schöner...
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GABI:
Man soll individuell fördern und nicht alle über einen Kamm scheren. Man sollte
ihnen vertrauen, denn nur wenn man den Turnerinnen vertraut, können sie Dir auch
vertrauen. Man sollte ihnen auch genügend Freiraum für private Dinge geben. Und das
Wichtigste: Die Kinder sollen in erster Linie Spaß im Training haben.
Nach
ihrer ersten Deutschen Meisterschaft zum Turnfest 1990 - ein Jahr später Gabi
Wellers Auftritt im
ersten, wiedervereinten deutschen
WM-Turn-Team 1991

Im Hoosher Dome, Indianapolis: (v.l.)
Andrea Drissler, Kathleen Stark, Jana Günther, Anke Schönfelder, Gabi Weller,
Annette Potempa
(Lesen Sie auch das GYMmedia-Interview mit der ersten Gesamtdeutschen
Meisterin von 1991, Anke Schönfelder)
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Gabi
- im Vordergrund
links

WM-Sprung '91
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: Worauf
führst Du die Tatsache zurück, dass es in Deutschland nach
der Wende nicht gelungen ist - trotz Zusammengehens mit dem Potential
und den Strukturen der ehemaligen DDR, die ja kurz zuvor noch eine
Welt-Kunstturnnation war, ein wenigstens konstantes Niveau zu halten?
GABI:
Der Hauptgrund meiner Meinung nach ist, dass die Sportler der ehemaligen DDR
einfach besser gefördert wurden. Die Schule wurde auf das Training abgestimmt usw. Heute
ist es den Lehrern meist egal, ob du ein Sportler bist oder nicht und du musst sehen, wie
du den Schulstoff nachholen kannst. Ich denke, es waren auch politische Gründe. Die
Mädchen mussten plötzlich durch ein ganz anderes Schulsystem gehen und sie wurden
sportlich nicht mehr so gefördert und unterstützt wie damals. Jede musste sich
plötzlich Gedanken um ihre eigene Zukunft machen. Ich denke auch, dass der Sport
für viele Sportler in der ehemaligen DDR eine gute und vielleicht die einzige
Möglichkeit
war, mal aus dem Land raus zu kommen. Das könnte ein großer Anreiz gewesen sein. Nachdem
die Mauer fiel, war es dann ja kein Problem mehr in ein anderes Land zu reisen.
: Sollte
Deutschland überhaupt wieder das Ziel haben, in die "Olympic Family of Artistic Gymnastics" zurückzukehren...?
GABI:
Ja, auf jeden Fall. Ich denke, dass das Turnen eine der wichtigsten Sportarten in
der Geschichte Deutschlands ist!

Mutter Elisabeth als Trainerin:
Jägersalto - perfekt!
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: Beschreibe
mal - aus Deiner persönlichen Sicht - den Wert des Kunstturnens,
für die betreffende Person, für die Gesellschaft und
überhaupt.
GABI: Es gibt
keine andere Sportart, die man mit dem Kunstturnen vergleichen könnte. keine andere
Sportart hat eine solch grosse Variationsbreite und diesen Abwechslungsreichtum. Turnen
ermöglicht Drehungen um die Längs-, Breiten- und Tiefenachse eines menschlichen
Körpers. Turnen fördert eine bessere Ausprägung der Sinne und kann durch einen gut
ausgeprägten
Muskelapparat vor Alltagsverletzungen und oder -beschwerden schützen. Sport im
Allgemeinen wirkt sich positiv auf die Gesellschaft aus. Würde jedes Kind ein aktives
Mitglied in einem Sportverein sein, dann gäbe es mit Sicherheit weniger
Jugendkriminalität. Sport im Allgemeinen sollte in Deutschland politisch mehr
gefördert
werden.
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: Gedankenspiel:
Angenommen Gabi Weller würde das verantwortliche
Amt (...welches müsste das sein?) übernehmen, um
weibliches Kunstturnen in Deutschland wieder zu reanimieren, was
würdest Du ändern/einführen/anders machen...!
GABI:
Ich hatte mir schon öfters mal überlegt, was ich machen würde, wenn ich
Bundestrainerin wäre. Ich denke, dass es schwer zu sagen ist was ich machen
würde, weil
man dann letztendlich meist auf Widerstände stößt, mit denen man nicht gerechnet hat und
die es einem nicht ermöglichen so zu handeln, wie man es gerne gehabt hätte. Trotzdem
würde ich einiges anders machen. Ich würde sehr viel Wert auf die oben genannten Dinge
legen: Der Spaß soll im Vordergrund stehen. Andererseits müssten die Turnerinnen auch
lernen zu akzeptieren, dass es nicht immer ein Zuckerschlecken sein kann.
Ich würde mehr mit den Turnerinnen reden und mehr integrieren und mehr nach ihrer
Meinung
fragen. Es sollte eine Teamarbeit sein (die natürlich auch nur bis zu einem gewissen Grad
möglich ist). Auch würde ich die Schwerpunkte noch mehr in die
Trainerausbildung und auf
die Nachwuchsarbeit legen.
Wie gesagt, man darf aber nie die Widerstände vergessen, auf die man in
verschiedener Art und Weise stoßen kann - an erster Stelle finanziell gesehen.
: Welche
Gründe siehst Du für die wachsende Ignoranz der
elektronischen Medien gegenüber dem Turnen in Deutschland -
Schuld der Medien oder der Sportart selbst?
GABI:
Da gibt es sicher viele Gründe. Ich glaube, dass die Sportart Turnen
für einen
Laien sehr schwer nachvollziehbar und das Wertungssystem zu kompliziert geworden ist.
Manchmal suchen sich Sportinteressierte Idole, mit denen sie sich identifizieren
können. Im Tennis z.B. haben Sportler die Möglichkeit lange an der Spitze zu bleiben. Im
Turnen sind die Karrieren nicht so lange.
Auch ist es sehr einfach, bei einem nur nur sehr kleinen Fehler, von Platz eins so
weit nach unten abzurutschen, dass man gleich ganz von der Bildfläche verschwindet. Man
kann nie genau vorhersagen, wer gewinnen wird.
Nicht schön genug für
die Medien....?
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: Welche
Rolle sollte die Bewertung spielen - nur zur
Leistungsdifferenzierung... oder nicht auch zur Vermittlung von
Verständnis an ein Sportpublikum?
GABI:
Ich denke, dass es seht wichtig ist, dass das Publikum die Wertungen nachvollziehen
kann. Menschen möchten mitreden können, aber wenn sie das System, welches die sportliche
Leistung beschreibt, nicht verstehen, macht es keinen Spaß, sich das Ganze anzusehen,
weil man es ja eh nicht nachvollziehen kann.
: Wenn
Du Letzteres unterstreichen würdest - ist da der derzeitige Code de Pointage das richtige Mittel...?
GABI:
Ein Buch in dem die Wertungsvorschriften festgelegt werden, das finde ich schon
gut, aber ich denke, dass die Leute, die die Werte der Elemente festlegen, auch jene sein
sollten, die noch mitten im Geschehen stecken und etwas davon verstehen.

"TIGER GYMNASTICS".
Gabi Weller: Dritte von li., Rufina Kreibich, 2.v.l.
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Gabi Weller (li.) im Turnteam
der Universität Towson/Maryland (USA), übrigens gemeinsam mit einer weiteren ehemaligen
Deutschen Meisterin: Rufina Kreibich (2.v.rechts)
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Zur Zeit herrscht
Wettkampfstress, jedes Wochenende ein Wettkampf im Tiger Team, und:
Soeben zeigte Gabi am Stufenbarren ihr neues Element:
Tkatschow - mit ganzer Drehung, als drittes Flugelement ihrer Kür !!
Glückwunsch! |
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: Du
hast im Laufe Deines Lebens die heftigsten Kritiken am Frauenkunstturnen erlebt.
Welche waren die häufigsten/die dümmsten und welche
waren berechtigt... und was wären Deine entsprechenden Antworten
darauf?
GABI:
Das Schlimmste, was mir je passiert ist war, dass mir während der
Medaillenvergabe
(ich wurde Deutsche Meisterin im Mehrkampf im Rahmen des Deutschen Turnfestes 1994 in
Hamburg), jene Person, die mir die Medaille umhängte, gesagt hatte: 'Das war ja ganz
gut, aber ein paar Pfund musst Du noch abnehmen." Ich war sprachlos und habe versucht
es zu ignorieren, was mir auch erst ganz gut gelungen ist, aber im Nachhinein...?!!"

.... eben, bei einem aktuellen
Uni-Wettkampf in den USA.
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: Wohin
führten Dich die Wege seit dem Ende Deiner leistungssportlichen Karriere in Deutschland...?
GABI: ...die
führten mich - nach einer gut
gelungenen Kreuzbandoperation- zu einem Stipendium in die USA. Hier studiere ich Sport und
turne für die Uni-Mannschaft der University of Towson/Maryland.
Wir haben vier Monate lang fast jedes Wochenende einen
Wettkampf, was ganz schön an die Kondition geht - in meinem "Alter" (24) vor
allem!
: Wie
sehen Deine Pläne für die absehbare Zukunft aus?
GABI: Ich möchte hier meinen Bachelor-Abschluss
machen und dann zurück nach Deutschland gehen, um dort mein Examen zu machen.
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: Kreative
Menschen träumen gern. Wovon träumst Du.....?
GABI:
Ich träume von einem glücklichen, ausgefüllten Leben, eine Familie und ein
eigenes kleines Haus zu besitzen. Mein ganz großer Wunsch ist, dass alle Menschen, die
mir wichtig sind, glücklich und gesund bleiben und da schließe ich mich einfach mit ein!
: Das wünschen wir Dir natürlich auch, vielen Dank und in diesem
Sinne, alles Gute
* Das Interview für GYMmedia führte
Eckhard Herholz.
* Lesen Sie dazu auch das > Interview mit Anke Schönfelder, langjährige
Teamgefährtin von Gabi Weller.
* Update:
28-SEP-2001:
Gabi Weller stellte sich - 10 Jahre nach ihrer WM-Teilnahme - bei den
61. Deutschen Turnmeisterschaften
mit 25 Jahren noch einmal zu einer WM-Qualifikation, und erlebte in
Gent 2001 ihre vierte Weltmeisterschaft. Momentan arbeitet sie als
Stunt-Frau bei Fernsehproduktionen (SAT1-Serie)
* Update: 17-Juli-2003:
Gabi Weller wurde als "Beauftragte für Sport" in den Vorstand
der Deutschen Turnerjugend gewählt. Beruflich ist sie Lehramtsreferendarin an einer integrierten Gesamtschule
in Gießen.
(>>... siehe
GYMmedia-Meldung vom
17-Juli-2003)

English version

-ehe-
20-02-2000
update: 19-02-2003
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