. | OFFENER BRIEF der Familie Werner und Theodora Schweigert, Birgit Schweigert |
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Betr.: Ablehnung der Olympianominierung von Birgit Schweigert |
. | Sehr geehrter Herr Tröger, am 3. August hat uns der Sportdirektor des Deutschen Turnerbundes, Herr Wolfgang Willam, mitgeteilt, dass der Antrag des DTB, unsere Tochter Birgit als Härtefall in die Olympiamannschaft zu berufen aus sportfachlichen Gründen wegen mangelnder Erfolgsaussichten abgelehnt wurde. Da wir uns des Eindrucks nicht erwehren können, dass hier, vor allem im Vergleich zu anderen Sportarten, mit zweierlei Maß gemessen wurde, können wir diese Entscheidung nicht unkommentiert lassen. Aufgrund der zeitgleichen Entscheidung über die Härtefälle der Leichtathletik vergleichen wir nachstehend mit dieser Disziplin: Nominierungskriterien In beiden Disziplinen wurden sehr hohe Kriterien für die Olympiateilnahme angesetzt. Dennoch gibt es erhebliche Unterschiede
Ein Leichtathlet/in hatte ca. 2 Monate Zeit seine/ihre Normen zu erfüllen, wobei ihm/ihr pro Woche nach unserer Erinnerung ca. 2 Wettkämpfe zur Auswahl standen. Birgit hatte nur eine einzige Chance bei den Europameisterschaften, und musste dabei eine bestimmte Platzierung erreichen, war also abhängig von der Leistung der Sportlerinnen anderer Nationen. Das Argument, die Turnerinnen hätten ihre erste Chance bereits bei der WM in China gehabt, lassen wir im Zusammenhang mit Birgit nicht gelten: Birgit hat in China eine ausgezeichnete Leistung abgeliefert und einen sehr guten 24. Platz im Mehrkampffinale erreicht. Ihre Platzierung liegt auf dem gleichen Niveau oder besser der besten Turnerin der in China qualifizierten Mannschaften ab Platz 8 der WM. Sie war 6.-beste Westeuropäerin. Turnen ist im Grunde eine Einzelsportart, so dass das Versagen anderer Mannschaftsmitglieder Birgit nicht angelastet werden kann. Birgit ist in keiner Weise für das schlechte Abschneiden in China verantwortlich. Leistungsergebnisse von Birgit Woher das NOK die Gewissheit der mangelnden Erfolgsaussichten nimmt, ist für uns nicht nachvollziehbar. Birgit hat die Nominierungskriterien im Mehrkampf um Haaresbreite um knapp 0,3 Punkte und 2 Plätze nicht erfüllt und das Balkenfinale wegen eines Absteigers nicht erreicht, obwohl sie aufgrund einer Trainingsverletzung während der unmittelbaren Wettkampfvorbereitung einen erheblichen Trainingsausfall hinnehmen musste, und mit Kniebeschwerden geturnt hat. Sie konnte erst ca. 10 Tage vor der EM wieder mit dem Balkenübungstraining beginnen, und war daher an diesem ihrem besten Gerät - untypisch für Birgit - instabil.( Für Nicht-Turnfachleute sei angemerkt: Balkenstabilität wird erzielt durch Training: 8 Übungen pro Tag und dies über mehrere Wochen.) Trotz des Fehlers hat sie ihre Finalreife eindeutig nachgewiesen, denn 9,05 bzw. 9,137 Punkte mit o,5 Punkte Abzug sind Weltklasse. Der Finalplatz in Paris ging mit 9,437 Punkten weg, Platz 4 im Finale mit 9,587. Trotz des Fehlers und des Handicaps durch die erlittene Verletzung war sie beste deutsche Turnerin des letzten Jahrzehnts bei einer EM. Nur wenige Wochen später ist sie souverän und fehlerlos sowohl Deutsche Meisterin im Mehrkampf (37,7 Punkte DM, 36.911 Punkte EM), am Balken (9,65 Punkte bzw. 9,4 Punkte DM, 9.05 bzw.9,137 Punkte EM) und am Boden (9,6 bzw. 9,3 Punkte DM, 9,437 bzw. 9.175 Punkte EM) geworden Birgit hat den Deutschen Turner-Bund bislang 3 mal bei großen internationalen Meisterschaften vertreten und hat jedes Mal das Mehrkampfinale sicher erreicht. Alle 3 Ergebnisse (11. Junioren-EM 1996, 12. EM Paris 2000, 24. WM China 1999) sind das beste Ergebnis einer Turnerin des DTB im letzten Jahrzehnt bei der jeweiligen Meisterschaft. Es kann also ohne weiteres festgehalten werden, dass das Erreichen des Mehrkampffinales der Olympischen Spiele für Birgit nicht Wunschdenken sondern Selbstverständlichkeit gewesen wäre. Birgits vor allem am Balken erzielte Einzelergebnisse zeigen, dass Birgit durchaus auch Chancen auf ein Gerätefinale gehabt hätte: Sie war bei all ihren 3 Einsätzen jeweils nahe dran, woher nimmt das NOK die Gewissheit, dass ihr nicht bei den OS die Übung gelungen wäre, die sie schon so oft in anderen Wettkämpfen gezeigt hat. Birgit gilt als nervenstark und hätte in Sydney ohne Belastung aufturnen können. Gerätefinalchancen haben Turnerinnen, deren Ausgangswert an den Geräten Balken, Barren und Boden 10,0 Punkte beträgt, und die in der Lage sind 9,6 Punkte oder mehr für die Übung zu erhalten. Birgit erfüllt die Ausgangswertvoraussetzung an allen 3 Geräten (bei der EM nachgewiesen). Die als Anlage beigefügte lückenlose Statistik von Birgits internationalen Einsätzen zeigt, dass ihre erhaltenen Übungswerte am Balken und Barren jeweils 3 mal auf oder über dieser Marke lagen, und dass ihr Balken-niveau regelmäßig darüber liegt.(Bewertungen für Übungen mit Fehler immer über 9,0 Punkte) Die Besonderheiten des Kunstturnens führen dazu, dass selbst Weltmeister und Olympiasieger gelegentlich weniger als 9 Punkte für eine Übung erhalten. Die Statistik beweist ferner Birgits Stabilität und Konstanz im Mehrkampf auf einem sehr hohen Niveau: seit mehr als einem Jahr kein Wettkampf unter 36,5 Punkte, Spitzenleistung von 38,15. Nur zur Untermauerung und um Fehlschlüssen vorzubeugen: Birgits beste Leistungen wurden im Ausland vor internationalen Kampfgerichten erzielt. Die Bestleistung von 38,15 Punkten in den USA als ziemlich unbekannte Turnerin vor einem amerikanischen Kampfgericht. Im Kölner Stadtanzeiger vom 4. August wird im Zusammenhang mit der Nominierung der Leichtathleten Ihre Aussage: "im Zweifel für den Angeklagten" zitiert, in Birgits und den Ohren aller ihr Nahestehenden, muss dies leider wie Hohn klingen. Allgemeines Birgit ist im letzten Jahr die mit Abstand beste und ausgeglichenste Turnerin des DTB und weist bei den großen Meisterschaften die besten Ergebnisse des letzten Jahrzehnts nach. Wir wollen keineswegs das derzeitige generelle Leistungsniveau des deutschen Kunstturnen-weiblich schönreden. Birgit kann jedoch nicht in den allgemeinen Topf geworfen werden. Für den deutschen Sport müsste es ein Glücksfall sein, dass eine leistungsstarke Turnerin existiert, die andere nachziehen kann. Bislang sind wir davon ausgegangen, dass dies in leistungsschwachen Sportarten auch so gesehen wird. Eine Olympianominierung wäre auch unter diesem, dem einzigen in diesem Zusammenhang wesentlichen sportpolitischen Gesichtspunkt, gerechtfertigt gewesen. Vor allem kann eine leistungsstarke Turnerin nicht für die Misere der Sportart verantwortlich gemacht werden. Dem "on-dit" nach ist die Nominierung u.a. abgelehnt worden wegen der schlechten Leistungen der Atlanta-Turnerinnen. Uns war bislang nicht bekannt, dass es im Sport eine Art Sippenhaft gibt. Die Atlanta-Turnerinnen standen unter ganz anderen Vorzeichen: Operation im unmittelbaren Vorfeld der OS bzw. persönliche Komponenten, die für Birgit keinesfalls zutreffen. Diese negativen Beispiele sind nicht übertragbar. Für Birgit wären die OS der Höhepunkt ihrer sportlichen Laufbahn gewesen, auf den sie sich uneingeschränkt konzentriert hätte. Wir wissen aus vielen Gesprächen mit den Vertretern der Turnverbände und Trainer anderer Nationen (wir begleiten Birgit regelmäßig auf die Wettkämpfe), dass dort allein schon die Tatsache, dass über Birgits Nominierung diskutiert wird auf völliges Unverständnis gestoßen ist. Für die internationale Turngemeinde ist es eine Selbstverständlichkeit, dass Birgit das deutsche Turnen bei den Olympischen Spielen repräsentiert. Alle rund um Birgit platzierten Turnerinnen sind von ihren Ländern nominiert. Wir wissen sehr wohl, dass unsere Anmerkungen Birgit nicht mehr helfen können, vielleicht geben sie dennoch zum Nachdenken Anlass. Über eine Antwort würden wir uns sehr freuen. Mit freundlichen Grüßen.... Gleichlautend an DSB, Herrn Manfred von Richthofen; (Veröffentlicht mit ausdrücklicher Genehmigung der Fam. Schweigert) |
. | Anlage Lückenlose Aufstellung von Birgits internationalen Mehrkämpfen in den Jahren 1999 und 2000
* Übung mit o,5 Punkte Fehler
(Veröffentlicht mit ausdrücklicher Genehmigung der Fam. Schweigert) (Lesen Sie auch: Brief des Vorsitzenden des KTZ Bergisch-Gladbach, Dr. M. Heller an den Präs. des DTB . |
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