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Birgit GUHR (Leipzig) |
Man fand sie noch, vereinzelt und inzwischen vorwiegend im ehrenamtlichen Ruhestand: die hochqualifizierten Spitzensporttrainer mit akademischer Ausbildung. Allerdings hat die Diplomsportlehrerin und -Trainerin Birgit GUHR, die vorige Woche ihren 71. Geburtstag feierte, sich aber nun nicht mehr zur Wahl der obersten deutschen Gymnastikkampfrichterin gestellt und dieses langjährig ausgeübte Amt an die Berlinerin Verena BRINK abgegeben.
< Von 1973 bis 1977 hatte Birgit GUHR an der legendären Deutschen Hochschule für Körperkultur (DHfK) Leipzig das Spezialfach GYMNASTIK belegt und wurde dort zur hochspezialisierten Trainerin ausgebildet. Letzten September, im Olympiajahr 2024, wurde sie auch als eine der Ehrengäste beim 40. Jubiläum des Bundesstützpunktes Fellbach-Schmiden geehrt, bestimmte sie doch gleich nach der Wende von 1991 an als Bundestrainerin, zwischen 2006 bis 2008 als Teamchefin die Rhythmische Sportgymnastik und bis 2018 auch als sächsische Landestrainerin die Szenerie dieser ästhetischen Disziplin im Lande, auch unter den politisch und gesellschaftlich nun völlig anderen Bedingungen als zuvor ...
Als Nutznießerin des hohen und weltweit anerkannten Standes der Sportwissenschaften war sie, wie alle Absolventen der DHfK Leipzig, bestmöglichst auf die leistungsorientierte Ausbildung im dafür strukturierten Pyramiden-Fördersystem des DDR-Sports ausgebildet.
Gleich nach Studienabschluss von 1977 an übernahm sie als Cheftrainerin des berühmten Sportclubs Leipzig (SCL) die Verantworung u. a. für die damals besten Gymnastinnen im Lande, wie Sunhild Krause (2x WM-Finalistin 1985 in Valladolid), für Cornelia Kunze, die zur EM 1988 in Helsinki 5x unter den besten 7 Gymnastinnen war, wie auch später Daria Stolbin als Deutsche Meisterin WM-Teilnehmerin 2007 (Patras) oder Luisa Mehwitz als Deutsche Gerätemeisterin.
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Herausragend ist BIrgit Guhr's Rolle als internationale Kampfrichterin mit unzähligen Einsätzen bei Europa- und Weltmeisterschaften, über 9 Olympiazyklen hinweg: Nachdem sie bereits vor 51 Jahren (1973) ihr nationales Brevet bestand, absolvierte sie 1984 in Wien ihren ersten Internationalen Kampfrichterinnen-Kurs mit dem erfolgreichen Abschluss des Brevets III. Weitere erfolgreiche Qualifizierungen folgten: 1998 mit Brevet II und ab 2000 agierte sie bis 2018 im Kampfrichter-Pool des Weltverbandes (FIG) mit der höchsten Kari-Stufe des Brevet I !
Birgit GUHR (li.) mit Egle Abruzzini (damalige FIG-TK-Präsidentin) und der Schweizer
Kampfrichterin Gilberte Gianadda (re.) bei den Olympischen Spielen 2008 Peking.
(c) gymmedia/privat
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So nüchtern diese Stufen auch klingen, sie erforderten stets höchstes Wissen, leidenschaftliches Engagement und auch absolut integeres Verhalten und Agieren in einer konkurrierenden Welt auch stark differenzierter Ansichten und abweichender Standpunkte!
Zu Recht wurde Birgit Guhr für ihre aufwändige, professionelle und makellose internationale Kampfrichter-Tätigkeit nach 9 Olympiazyklen (!!) vom Weltturnverband mit der Auszeichnung "Honory of Judge" bereits 2017 geehrt, agierte sie doch zwischen 1985 und 2015 bei 15 (!) Weltmeisterschaften als hochqualifizierte Jurorin.
Auch der Europäischen Turnverband (früher UEG, jetzt "European Gymnastics") würdigte 2021 mit dieser höchsten EG-Auszeichnung ihre verantwortungsvolle Tätigkeit, die sie ab 1984 in Wien bis zuletzt 2016 in Holon / ISR bei 22 (!!) der insgesamt 28 Europäischen Titelkämpfen mit höchstem Einsatz ausübte!
(Unverständlicher Weise, ganz im Gegensatz zu anderen Sportarten hierzulande, war dies dem Deutschen Turner-Bund bisher kaum eine Ewähnung wert.)
Ende 2008 erfuhr die Leipziger Landestrainerin Birgit Guhr mit einem einfachen, lakonischen Telefonanruf, dass sie ihren Vertrag als Deutsche RSG-Team-Chefin per 31. Dezember verliert, da man mit neuer "neuer Prioritätensetzung" den Schwerpunkt aus Erfolgsgründen stärker auf die Gymnastik-Gruppen legen wolle ... ein auch noch heute als unverantwortlicher Personalabbau zu charakterisierender Vorgang, der schließlich Kompetenzabbau zur Folge hatte! Und so wandte sich die Trainerin damals wieder vorwiegend ihren Aufgaben als Sächsische Landestrainerin ihren Schützlingen bei der TuG Leipzig und im Bundesland zu.
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Auch im ehrenamtlichen "Unruhestand" - blieb sie bis Mitte September 2025 als oberste deutsche Gymnastik-Kampfrichterin für Aus- und Weiterbildung aller deutschen Jurorinnen verantwortlich, ohne deren qualifizierten Einsatz diese Disziplin in Nachwuchs und Spitze nicht möglich wäre!
Nach Olympia 2024 in Paris - ebenfalls vorwiegend ehrenamtlich - war sie mit der Übersetzung des neuen "Code de Pointages", der internationalen Wertungsbesimmungen des Weltturnverbandes, vom Englischen ins Deutsche für den neuen Olympiazyklus beschäftigt, mit der wegen der spezifischen Fachlichkeit wohl jeder Dolmetscher absolut überfordert wäre!
<< Seit 13. September 2025 ist nun die Berlinerin Verena BRINK neue oberste deutsche Kampfrichterin der Rhythmischen Gymnastik, da sich Birgit Guhr nicht mehr zur Wahl gestellt hatte.
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Wiedersehen mit dem damaligen DTB-Pressechef Wolfgang Staiger |
Und es war mehr als berechtigt, es tat gut, dass man Birgit Guhrs bisheriges Lebenswerk als Sportpädagogin, Sportwissenschaftlerin, Trainerin und Kampfrichterin in einer der komplexesten Sportarten nicht vergessen hatte, was schon im Vorjahr bei den Feierlichkeiten des 40. Geburtstages des Bundesstützpunktes in Schmiden auch emotional zu spüren war, auch als es dort zum freudige Wiedersehen zwischen den vielen ehemaligen und heutigen Exponenten der Rhythmischen Gymnastik kam, was somit auch den Wert des Sports über alles Leistungsdenken hinaus so richtig zum Ausdruck brachte!
(c) gymmedia / Eckhard W. Herholz
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