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update:
25-06-2000

60. DEUTSCHE KUNSTTURNMEISTERSCHAFTEN der DAMEN 2000
Leipzig, 24-06-2000

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03-08-2000: Deutsches NOK nominiert keine deutschen Turnerinnen für Sydney...!!
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MEISTERKLASSE
All around  /  Mehrkampf

Deutsche Jugendmeisterschaften:

AK 15 AK 14 AK 13

REPORT / Bericht

Turnprominenz vom Feinsten wurde bei den Jubiläumsmeisterschaften in Leipzigs Sporthalle in der Brüderstrasse begrüsst: Olympiasieger, Weltcupgewinner, Europameister.....allerdings befanden die sich unter den etwa 350 Zuschauern und gehören der eindrucksvollen Leipziger Turngeschichte an: Klaus Köste, Steffi Biskupek-Kräker, Roselore Sonntag  oder Ute-Kahlenberg-Starke beschreiben vorwiegend Vergangenheit. Die Gegenwart des Frauenkunstturnens bewegt sich - wenige Wochen vor Olympia - in wesentlich tristeren Regionen und das Turntraditionsland Deutschland blickt erstmals einer Nicht-Teilnahme bei Olympischen Spielen entgegen.

Unabhängig von Leistungen oder dem Verlauf dieser 60. Deutschen Meisterschaft wird das Schicksal zweier theoretisch möglicher Einzelstarterinnen nur noch durch Funktionäre des NOK Anfang August am grünen Tisch entschieden. Bleibt zu wünschen, dass diese Herren wenigstens registrieren, dass eine Dagmar Fehrenschild mit einer international mehr als akzeptablen Stufenbarrenübung ihren Mehrkampf bei diesen Deutschen Meisterschaften begann. Mit der Leipziger Wertung von  9,700 vor drei Wochen in Paris hätte sie das EM-Finale erreicht...
Die beste deutsche EM-Mehrkämpferin von Paris, Birgit Schweigert, war zunächst auf Mehrkampftaktik bedacht: Nachdem sie ihren neuen Sprung, einen "Omiljantschik" (Rondat, halbe Drehung, Salto vorwärts gebückt / AV 9,7) zunächst im Einturnen probiert hatte, verzichtete sie (noch) im Wettkampf darauf und starte mit mässigen 9,05 und auf Rang 4.


Katja Abel
hatte mit einem sauberen Überschlag-Salto gebückt begonnen.
Pech bei ihrem ersten Sprung hatte die Kölnerin Lisa Brüggemann, und gerade sie war hochmotiviert und mit guter Vorbereitung in ihre erste Deutsche Meisterschaft gegangen: Schon beim Einturnen hatte sie Probleme und dann - Sturz bei Rondat- Salto rw.-gestreckt,ganze Drehung und das vorzeitige Aus nach schmerzhafter Stauchung des Schienbeines, auch wenn sie dann noch mal einen Stufenbarrenversuch machte... - bittere Tränen der Enttäuschung... "...und dabei war ich eigentlich so gut 'drauf gewesen!"

Auf Leipzigs Traditionsbank...
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Obere Reihe, v.l.: Olympiasieger Klaus Köste, 4-fache Mehrkampfmeisterin Roselore Sonntag, Europameisterin Ute Starke (-Kahlenberg)
Untere Reihe: Weltcupsiegerin Steffi Kräker (-Biskupek), Silvia Hindorf OS-,WM-, WC-Medaillengewinnerin)

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Das Starterfeld 2000:
Meisterklasse und AK 15
(rechts aussen: Katja Abel, Birgit Schweigert)

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Dagmar Fehrenschild:
Happy nach Superstart!

Dann aber musste die führende Dagmar Fehrenschild bei ihrer neuen Balkenübung (-statt Abgang Rondat -Doppelschraube, jetzt Rondat-Doppelsalto) einmal unfreiwillig nach ihrer Dreierserie vom Balken (8,50) und fiel auf Rang drei zurück, nachdem Birgit Schweigert ihre Stufenbarrenübung mit Ausgangswert 9,9 und erneut ohne Fehler präsentierte und vor Katja Abel in Führung ging, die aber über ihren Stufenbarren-Auftritt förmlich strahlte: Jäger-Salto-gebückt, schöne Stalder-Varianten und ein Unterschwung-Doppelsalto zum Stand: 9,8 Ausgangswert wurden am Ende mit 9,30 belohnt. Katja Dreyer dagegen blieb erst mit den Füssen an der Matte hängen und musste sich dann noch bei ihrem  Abgang Salto vorwärts, gehockt-ganze Drehung 3 Zehntel abziehen lassen.
Eben erst von einer Mexico-Reise zurück und einem stolzen 3.Platz am Balken - hinter den Weltstars Produnowa und Karpenko - zeigte die Berlinerin Katja Abel weitere Fortschritte in ihrem Leistungsbild: Turnte die gleiche Mexico-Übung, wenn auch die Kampfrichterinnen wohl einige Zehntel bei nicht ganz ausgedrehten gymnastischen Hock-Spreiz- bzw. Grätschristsprüngen bemängelt haben dürften. Der verantwortliche Trainer Dieter Koch bescheinigte ihr eine "erstaunliche Präsentation", hatte doch Katja tags zuvor noch mit 39o Fieber und bösem Infekt im Bett gelegen und kam nach zwei internationalen Wettkämpfen in dichter Folge (Trnava und Mexico) ziemlich gestresst zurück.

Erneut war Birgit Schweigert die Ruhe in Person.
"Souverän sowohl in der Akrobatik, als auch bei den gymnastischen Elementen, Birgit lässt sich einfach durch nichts aus der Ruhe bringen," - so urteilte TK-Vorsitzende Ulla Koch anerkennend nach Birgits Balkenübung, bei deren Chorkina-Schrauben-Abgang man im abschließenden Finale sicher noch mit der Doppeldrehung rechnen kann. Ihre Mehrkampfführung baute sie weiter aus: 9,65 - das war die Balkenhöchstwertung! Katja Dreyer fiel leider nach Balkensturz auf Rang 5 zurück, hinter die vierfache Meisterin von 1996 Gritt Hofmann, die sich nach einer 9,300 am Boden auf Platz vier vorturnte...

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1-2-3: Schweigert, Fehrenschild, Abel...

Deutschlands Doppelspitze:

Birgit Schweigert (TT Köln, re.) und
Dagmar Fehrenschild (TV Hoffnungsthal).

Am Boden war natürlich Katja Dreyer wieder in ihrem Element und schloss mit einer gelungenen Dreifach-Schraube ab.
Katja Abel fehlte dann am Boden aus o.g. Gründen dann leider doch die körperliche Substanz und landete in der direkten Verbindung von zweieinhalb Schraube - Salto vorwärts im Sitz, konnte aber doch Mehrkampfbronze erringen, da die Berlinerein Gritt Hofmann einige unnötige Fehler machte (z.B. Sturz Stufenbarren) und nach Trainingsrückständen aber wieder auf ihr grosses Potential aufmerksam machen konnte.
Unmittelbar danach fiel dann die Mehrkampfentscheidung dieser Titelkämpfe:
Birgit Schweigert begann am Boden mit Doppeltwist (E-Teil), dann folgte die Verbindung eineinhalb Schraube - direkt gefolgt Salto vorwärts- gestreckt mit ganzer Drehung.

Auch die 2 1/2- Schraube - Salto vorwärts gelangen und Birgit Schweigert wurde erstmals und ziemlich souverän Deutsche Mehrkampfmeisterin, nachdem sie die letzten Titelkämpfe 1999 in Tübingen auslassen musste.


Birgit: "Ich bin ziemlich zufrieden. Wenn ich so ohne Fehler in Paris zur Europameisterschaft  geturnt hätte, dann wäre ich sicher Neunte im Mehrkampf geworden, hätte damit ein entscheidendes nationales Olympia- Nominierungskriterium erfüllt ...und wäre im Balkenfinale gewesen. Nun hoffe ich stark auf eine richtige Entscheidung des NOK, nicht nur für mich, sondern auch für die Zukunft eines deutschen Kunstturnens, denn eine Teilnahme in Sydney ist auch ungeheuer wichtig für die Motivation des Turnnachwuchses im Lande...!"

.... auch verbal eine würdige erste deutsche Turnkönigin des neuen Jahrtausends!
Bilanz im Besonderen....
Deutschlands derzeit beste Mehrkämpferin (12.Platz.) bei den Europameisterschaften im Mai holte nach ihren beiden Gerätetiteln von München 1989 ihren dritten und bislang wertvollsten Meistertitel vor einer gut aufgelegten und locker erscheinenden Dagmar Fehrenschild, die ohne ihren Balkenpatzer eine noch härtere Kokurrentin gewesen wäre. Beiden hätte auch eine Katja Abel im Vollbesitz ihrer Kräfte sicher schon wieder stärker Paroli bieten können. Nach Gritt Hofmann und Katja Dreyer und unter Einschluss der ausgeschiedenen Lisa Brüggemann - also nach 6 Turnerinnen (!),  bricht allerdings das international akzeptable Niveau der höchsten deutschen Leistungsklasse rapide ab. Bleibt zu wünschen, dass sich die für Zukunft bis 2004  zuständigen Gremien, Personen und Strukturen nicht nur noch auf diese Turnerinnen, sondern auch auf nachwachsende Jahrgänge, also ab Altersklasse 12 und älter, konzentrieren.
Blickt man allerdings auf den Nachwuchs, registriert man allerdings hinter der Siegerin in der Alterklasse 15 Darija Bijak (TVE Greven) eine Punktedifferenz von sage und schreibe 4,3 (!!) zu Rang zwei (Maxi Brückner/SV Halle), werden somit die nahezu erschreckenden Defizite mehr als sichtbar.....!!

Bilanz im Allgemeinen...
Und wenn dann noch Sportdirektor Wolfgang Willam mit Blick auf Zukunft darauf hinweist, dass ".... Formen der Zentralisierung bei der Organisation von Spitzenleistung in unserere Gesellschaft in der Vergangenheit mehrfach gescheitert sind, also werden wir vor allem die Qualität des Heimtrainings und Verantwortung vor Ort erhöhen müssen...", sieht das allerdings eher nach Rückzug aus DTB-Verantwortung aus und zweitens nach einer ziemlich einseitigen Betrachtungsweise   alt-bundesdeutscher Tradition!
Willam: "Momentan erfüllt nur noch das Leistungszentrum Berlin die nötigen Strukturanforderungen und mit Abstrichen noch Bergisch-Gladbach/Köln, mit der zu lösenden Frage, wo soll in diesem Raum dort das künftige Zentrum sein. Man wird auch darüber diskutieren müssen, was mit der Region Leipzig/Dresden/Halle geschieht, was aber nicht etwa heissen soll, dass durch eine Aberkennung des Status eines Bundesleistungsstützpunktes dort alles zusammenbrechen muss.....".

... und überhaupt:
Auch dieser letzte Satz des DTB-Sportdirektors vermittelt vor der Kulisse einer der traditionsreichsten und erfolgreichsten Turnstädte Deutschlands weder Trost und schon gar keinen euphorischen Optimismus. Werden doch eben auch im Männerbereich nach 10 Jahren einer eher traurigen Rückentwicklung nun auch die letzten Strukturen eines jeglichen Leistungsansatzes verschwinden - die letzten Turner verlassen ohne neuen Nachwuchs das Sportgymnasium - und das in einer Stadt, deren Turnzentren "Wissenschaft" und "Lok Ost" Leipzig, später SC DHfK bzw. SC Leipzig nicht nur 20 Deutsche (DDR-) Männer-Mehrkampfmeister und 14 Frauentitel, sondern auch Athleten internationaler Spitzenklasse hervorbrachten. Leipziger Namen wie Köste, Brehme, Fülle, Koppe, Tippelt oder bei den Frauen Zuchold, Gerschau, Kräker, Starke, Senff, Schieferdecker erlangten Weltruhm. Würden die DTB-Verantwortlichen in ihre gesellschaftliche Analyse die turn- leistungssportlichen Erfahrungen "vor Ort"   a l l e r  Deutschen einbeziehen - was angesichts der Zeitenläufe ihre Pflicht wäre - dann würden sie begreifen: Organisiert wurde einst Turn-Weltniveau in Leipzig   mit einer straffen Leitungsstruktur eines leistungsorientierten Turnverbandes!
Den Nachwende-Deutschen sollte es aber nun nach 10 Jahren Bedenkzeit besser gelingen, politisches und gesellschaftliches Primborium von Substanziellem zu trennen, denn:
V o r    späteren DDR- und Leipziger Olympiasiegen und DDR-Medaillenerfolgen herrschte nämlich zuallererst Turn-Spitzenniveau in Leipziger Turnhallen auf den Gebieten von Trainingsmethodik und -pädagogik, von Sichtung und Auswahl und zielgerichter Turngeduld für ein notwendiges Entwicklungsjahrzehnt der Sportler...!
Also mehr Selbstbewusstsein sollten sie schon zeigen, die Leipziger Turnbrüder und -schwestern in der Sporthalle Brüderstrasse angesichts einer von der TuG liebevoll organisierten Meisterschaft 2000. Im bunten Programmheft ist davon leider nichts zu finden: Ausser 4 (!) Vorworten und dem Zeitplan, nicht die Spur historischen Selbstbewusstseins und Turnen scheint auch erst mit der Gründung der TuG Leipzig e.V. 1994 angefangen zu haben....?! Sieht man von höflichen Erwähnungen in den protokollarischen Vorworten ab, kommt das Wort "31. Deutsches Turnfest" doch tatsächlich einmal (!!) in diesem Programmheft vor und die löbliche Anwesenheit des OK-Chefs Werner Luchtmeier allein löst auch noch keinen Hauch Turnfestatmosphäre aus.....!
Durch Deutschland ging also nicht nur über Jahrzehnte der schmerzhafte Riss einer Demarkationssmauer, die relativ schnell abzureissen war.....Gräben zwischen verantwortungsvollen Denken und Handeln sind schwerer zuzuschütten oder zu überwinden. Deutschland muss es im Allgemeinen dringend lernen, in der "Spass- und Fungesellschaft" Bedingungen für Eliteförderung und Leistugsanspruch zu schaffen! Das trifft im Besonderen auch auf die Kreativen, die Athletischen, die Mutigen, die Beseelten eines deutschen Kunstturnens zu!
Leipzig kommt! - steht auch im Programmheft. Lassen wir nicht zu, dass im Kunstturnen "Leipzig geht" - es wäre peinlich, nicht nur im Zusammenhang mit kommenden Ereignissen in dieser Sportstadt, wie "Turntag 2000", NOK- Mitgliederversammlung, Turnfest 2002.... Man sollte gerade deswegen im Gespräch bleiben!

Eckhard Herholz/GYMmedia

(Vgl. dazu auch: Vorschau: "60.Deutsche Meisterschaft: "TRADITIONEN, STATISTIKEN, WERTE"

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- ehe -
25-06-2000