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Herr, Steffens, was fällt Ihnen ein, wenn Sie an 'Kirche und Glauben'
denken?
Die Bibel hat immer zu unserem festen häuslichen Inventar gehört, wir
haben sie zu unserer Hochzeit geschenkt bekommen. Ich beschäftige mich
gedanklich viel mit ihrer Aussage und damit, was Gott will; warum er
zulässt, dass die Menschen sich vernichten.
Haben Sie Hobbies?
Nicht mehr. Ich bin jetzt ein waschechter Hausmann von früh bis spät und
meine Hauptaufgabe besteht darin, das Haus in Ordnung zu halten.
Natürlich lese ich gern mal ein gutes Buch. Und am Wochenende bevorzuge
ich die "Welt am Sonntag" als Lektüre.
Können Sie auch kochen?
Ach, die Verpflegung ist kein Problem. Es werden gute Mittagsmahlzeiten
hier angeboten. Und viele relativ einfache Speisen, wie Milchreis,
Bratkartoffeln mit Spiegelei und dergleichen, bereite ich mir selber zu.
Das kann doch jeder Mann!
Sehen Sie sich gern Fernsehsendungen an?
Filme,
Talkshows, Krimis und Musiksendungen interessieren mich nicht,
politische Sendungen hingegen sehr. Und natürlich Sport in jeder
erdenklichen Form. Zum Beispiel schaue ich mir jedes Fußballspiel
an, obwohl ich kein Fußballer, sondern Turner bin. Ich freue
mich, wenn die Leute sich bewegen.
Was ist ihre größte Stärke?
Eine sehr schwierige Frage! Ich viele Stärken und Schwächen; von
früher Kindheit an habe ich ein erlebnisreiches Leben führen
dürfen. Aber, je mehr ich über diese Frage nachdenke, um so
klarer wird mir, dass meine größte Stärke darin bestand, im
hohen Alter meine kranke Ehefrau Gerda zwei Jahre lang rund um die
Uhr gepflegt zu haben. Ihr Tod am 6. Februar 1998 war das
traurigste Ereignis in meinem Leben. Wenige Monate zuvor durften
wir gemeinsam unser Diamantenes Ehejubiläum begehen...
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Walter Steffens mit
Ehefrau Gerda (1994) und Tochter Dagmar, die an der
Sporthochschule Köln arbeitet
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Haben
Sie einen großen Wunsch?
Mein sehnlichster Wunsch ist ein schnelles Ende, wenn es so weit ist, hier
in meinem Haus in Barnstorf möchte ich sterben dürfen. Bevor ich einen
langen Leidensweg erleben muss, bitte ich um Sterbehilfe. Wenn ich sehe,
wie sinnlos sich of Menschen gegenseitig umbringen, kann ich nur hoffen,
dass es jemanden gibt, der mich in meinem hohen Alter gegebenenfalls
erlöst, auch wenn dieser Wunsch vielleicht nicht christlich oder ethisch
ist.
Was war das schönste und größte Ereignis in
Ihrem Leben?
Es gibt so unsagbar viele Erlebnisse in meinem Leben, damit könnte ich
problemlos den gesamten Gemeindebrief füllen. Aber herausragend war mein
Sieg bei den Olympischen Spielen 1936 in Berlin. Gemeinsam mit sieben
weiteren Kameraden gewann ich die Goldmedaille im Mannschaftskampf der
Turner.
(Die edle Trophäe steht in Acrylglas eingelassen auf einer
Vitrine....)
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Hatten
Sie ein Lieblingsgerät?
Das Springen übers Langpferd war nicht meine größte Stärke, in
den anderen Disziplinen jedoch war ich gleich gut. Die Presse
schrieb jedoch mehrfach: 'Wie Steffens am Seitpferd turnt, ist
einsame Weltspitze. Das macht ihm keiner nach!' Es gab Elemente in
meiner Übung, denen andere Athleten erst Jahre später
nacheiferten.
Wie
war Ihr Weg bis zu diesem Erfolg?
Nach meiner abgeschlossenen Malerlehre ging ich nach Bremen. Dort
arbeitete ich und besuchte die Deutsche Turnschule, denn ich hatte
den Ehrgeiz, Turnlehrer zu werden. Zunächst war ich bester Turner
im Kreis Diepholz, dann Bremer und Hamburger Kunstturnmeister,
sowie Niedersachsen- und Westfalenmeister. Bald turnte ich in ganz
Europa, zum Beispiel in Ungarn, Italien, Frankreich, Finnland. Ich
stecke so voller Erinnerungen, dass es selbst für mich heute
manchmal unglaublich ist, das alles erlebt zu haben.
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Wie
ging es weiter?
Nach dem Krieg gründete ich eine private Turnschule und leitete ferner
für den Deutschen Turner-Bund in ganz Deutschland, Österreich und
Italien Lehrgänge.
Bis
zu meinem 76. Geburtstag (1984) übte ich meinen geliebten Beruf
aus und war ständig in der Turnhalle. Danach turnte ich zwar
nicht mehr, war aber weiterhin aktiv. Bis zu meinem 87. Geburtstag
(1995) wanderte ich noch täglich so um die 10 bis 12 Kilometer,
um mich fit zu halten.
Seit
wann sind Sie wieder Barnstorfer Bürger?
Die Ferien verbrachte ich immer in Barnstorf und fühlte mich hier
heimisch. 1985 zogen wir zurück in meinen Heimatort, um in Ruhe
den Lebensabend zu verbringen. Meine Schwerhörigkeit erschwert
mir den Kontakt zu anderen Menschen. Da ich mich an Gesprächen
kaum beteiligen kann, lebe ich ziemlich zurückgezogen.
Haben
Sie ein Lebensmotto?
So lange wie möglich auf den Beinen und geistig auf der Höhe zu
bleiben. Dennoch - trotz der unzähligen schönen Erlebnisse
würde ich nicht wieder geboren werden wollen:
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Walter Steffens, Alfred Schwarzmann (re., 1989)
aus der Goldriege von 1936
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Meine
Enttäuschung über die Menschen im Allgemeinen ist zu groß. Meine
Gedanken kreisen um die Frage, warum sie diese Welt zerstören müssen und
nicht in Frieden miteinander leben können.
Das Interview führte Jutta Steffens im Dezember 1999, für den
Barnstorfer Gemeindebrief und aus Anlass des 90. Geburtstages;
am 26.12.
2005 feiert Walter Steffens im Hotel Roshop nunmehr seinen 97.
Geburtstag und ist Deutschlands ältester, lebender Olympiasieger aller
Sportarten)
> Walter STEFFENS verstarb am 23.08.2006
im Alter von 97 Jahren - als bis dahin ältester deutscher
Olympiasieger aller Sportarten - in seinem niedersächsischem
Wohnort Barnstorf, Kreis Diepholz.
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