OLYMPIA - PRESSE
Interview mit Andreas WECKER
Turn-Olympiasieger 1996
                                   "Dem deutschen Sport fehlt Elitäres"

Andreas Wecker, Turn-Olympiasieger 1996, über die Gründe von Erfolg und Misserfolg der Deutschen in Athen
Von Torsten Wendlandt (Berliner Morgenpost, 29-Aug-2004)
Berliner Morgenpost: Herr Wecker, was wird Ihnen von Olympia 2004 in Erinnerung bleiben?

Andreas Wecker: Dass ich bei 45 Grad im Schatten auf der Akropolis stand, ein tolles Gefühl.

MoPo: Ist das alles? Was für ein Gefühl haben Sie von den deutschen Athleten?

Wecker:  Wenn Sie den Medaillenspiegel als Spiegel der Leistungsfähigkeit unserer Gesellschaft betrachten, sind wir schlechter geworden. Aber das war ja vorhersehbar.

MoPo:  Inwiefern?

Wecker:  Das Elitäre ist dem deutschen Sport abhanden gekommen. Vor allem aber der Nachwuchs ist nur vereinzelt zu sehen. Dass in Athen die Alten und offenbar nicht ganz Fitten wie Lars Riedel, Ronny Weller, Boris Henry antraten, sagt doch alles. Nichts gegen Birgit Fischer, aber auch dieses Beispiel zeigt doch, dass die Konkurrenz durch den Nachwuchs fehlt. Der ist in den Jahren nach der Wende einfach weggebrochen. In Seoul 1988 hatte die DDR davon noch so viel, da hätten wir locker zwei Turnerteams bei den Männern schicken können. Und im Frauenturnen bricht inzwischen alles zusammen.

MoPo:  Der 16-jährige Florian Hambüchen ist doch ein gutes Nachwuchsbeispiel.

Wecker:  Er ist das einzige im Turnen. Und er wird es bleiben, wenn Sporthilfe und Bundeswehr die einzigen Förderkonzepte bleiben, die wir zu bieten haben. Es kann doch nicht sein, dass junge Leute erst eine Medaille holen müssen, um entsprechend gefördert zu werden. Die Grundlage für den Spitzensport ist die Bewegung, die muss erst mal gefördert werden. Wenn ich lese, dass Deutschland zurzeit die weltbeste Mannschaft im Computerspielen stellt, wird mir ganz schlecht.

MoPo:  Turnen ist derzeit vor allem durch das Unfall-Schicksal des gelähmten Ronny Ziesmer im Gespräch.

Wecker:  Ronny ist eine Mediengeschichte. Nach meiner Rückkehr aus Athen habe ich ihn im Krankenhaus besucht. Dort habe ich Badeunfälle auf der Station gesehen, die auch gelähmt sind. Wer interessiert sich für die? Oder für die Angehörigen jener Bobfahrerin, die Anfang des Jahres bei einem Unfall starb? Die Bild-Zeitung wollte von mir neulich wissen, ob Turnen jetzt die gefährlichste Sportart der Welt ist. Das sagt doch alles.

MoPo:  Bundeskanzler Schröder hat kritisiert, dass das Abschneiden der Deutschen in Athen schlecht geredet würde.

Wecker:  Da hat er doch völlig recht. Wird einer Zweiter, ist er in den Medien "nur" Zweiter. Mensch, was ist mit fünften Plätzen in der Weltspitze, mit der Freude, dem Spaß an Olympia? Die Medien wollen immer nur das Nonplusultra. Damit wird Druck erzeugt und viele Athleten nehmen diesen Druck an, leider.

MoPo:  Also ist der zu große Druck keine typische Ausrede, gescheitert zu sein?

Wecker:  Nehmen Sie doch Franziska van Almsick. Die hat sich durch Druck von außen und selbst auferlegten Druck die Energie selber rausgezogen. Jan Ullrich war ja auch schon vorher Goldkandidat, obwohl er das wegen seines Saisonaufbaus gar nicht hätte sein können. Wenn ich etwas verlange oder erwarte, wird es meistens nicht passieren. Wir müssen davon wegkommen, die Leute unter Zwänge zu setzen. Warum haben denn gerade unbeschwerte Athleten, die kaum in der Öffentlichkeit stehen, in Athen geglänzt? Etwa die Schwimmerin Anne Poleska, die Radsportler im Teamsprint und nicht zuletzt die Hockeyfrauen.

MoPo:  Sind die Deutschen also nicht locker genug?

Wecker:  So könnte man sagen. Ich habe in Athen auch zu viele Funktionäre gesehen. Da ist zu viel Macht im Spiel, zu viel Gier nach Aufmerksamkeit und Wichtigtuerei. Ich sehe zu wenig Herz und zu wenig Ideale.
Quelle: Berliner Morgenpost, 29-Aug-2004

 

wecker

Andreas Wecker
Deutschlands einstiger Vorturner ist aus Athen zurück. 
Seine fünften Olympischen Spiele erlebte der 34-jährige Berliner,
- 1996 in Atlanta Gold-Triumphator am Reck, ein Jahr zuvor Weltmeister sowie Europameister 1989 und 1992
- als Gast in den Arenen.

Über seine Beobachtungen sprach Wecker, der nach den Spielen in Sydney 2000 seine Karriere beendete, mit der Morgenpost.

 

 

 

 

 

 

 

 

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