OLYMPIA-INTERVIEW 2004:

 
Christoph SCHÄRER, Schweiz
 
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  Vom Handstand im Wohnzimmer ans Reck in Athen
Der Schweizer Christoph Schärer will an der Olympiade mehr als nur mitmachen
- von Silvia Ben el Warda-Wullschläger (Wochenzeitung)

<< Christoph Schärer strebt stets die Perfektion an – insbesondere natürlich an den Olympischen Spielen in Athen. Hohe Erwartungen hat der Kunstturner an seine Übung am Reck. Er möchte am 14. August schließlich nicht nur seinen 24. Geburtstag feiern, sondern auch einen Medaillengewinn.

Vor 16 Jahren begann Christoph Schärer mit Turnen in der Jugendriege des TV Zäziwil. Seither ist er nicht mehr von Reck, Barren und Pferd-Pauschen zu trennen und investiert alles für «seinen» Sport. Dass er nun in Athen gegen die weltbesten Kunstturner antreten darf, erfüllt ihn mit Stolz und bedeutet eine grosse Genugtuung nach 16 Jahren harter Arbeit. Und der Grosshöchstetter will noch mehr

<< Christoph Schärer
      voll Tatendrang in der Olympiahalle von Athen

WZ: Oft hört man den Spruch, mitmachen ist alles. Das gilt aber nicht für Sie?

Christoph Schärer:
Tatsächlich gehe ich nicht nach Athen, nur um mitzumachen. Mein Ziel ist, den Finale zu erreichen, also unter die besten acht zu kommen. Wenn das gelingt, ist alles möglich, auch eine Medaille. Ich glaube an das Unmögliche, sonst kann ich gleich zu Hause bleiben.

Dieser Glaube allein reicht aber nicht für eine Medaille.
Was ich brauche ist ein guter Tag, viel Glück und eine perfekte Übung. Mein Auftritt in Athen ist das Resultat – oder vielleicht auch der Lohn – für meine jahrelange harte Arbeit.

Eine Arbeit, die größte Disziplin verlangt. Dreißig Sekunden entscheiden über Erfolg oder Misserfolg.
Sieg oder Niederlage liegen sehr eng beieinander. Ein Kunstturner muss seinen Körper gut im Griff haben und auch mit dem Druck umgehen können. Ein Schrittchen zuviel, eine zu stark gekrümmte Zehe, und alle Mühen waren umsonst. Deshalb finde ich wichtig, vor und nach einem Wettkampf auf dem Boden der Realität zu bleiben. Der Sport ist nicht alles und eine Niederlage bedeutet nicht das Ende der Karriere.

Ihre Karriere begann beim Turnverein Zäziwil...
Eigentlich schon vorher. Der Grundstein legte mein Vater, als er mit mir im Wohnzimmer den Handstand übte. Er leitete die Geräteriege des Turnvereins, durch ihn rutschte ich hinein.

Waren Sie schon damals ein Ausnahmekönner?
Früher war ich eher klein und am Reck nicht besonders gut. Dann bin ich immer grösser und immer besser geworden.

Heute ist das Reck Ihre Lieblingsgerät.
So ändern sich die Dinge. Die Qualität meiner Übungen ist am Reck höher als am Pferd-Pauschen oder Barren. Es ist auf den ersten Blick betrachtet zwar nicht die Weltklasseübung. Wenn andere fünf spektakuläre Flugelemente einbauen, zeige ich nur eins. Auf diese Weise dosiere ich mein Risiko und kann meine Übung in Perfektion turnen. Weniger kann mehr sein.

Dann sind Sie also ein Perfektionist.
Ja, ich bin allgemein eher der Typ «Tüpflischisser».

Und auch ein Einzelgänger?
Ja, bestimmt. Wenn du vor den Kampfrichtern stehst, kann dir niemand helfen. Du bist allein und nur auf dich angewiesen. Doch natürlich ist es auch wichtig, ein Team im Rücken zu haben.

Welchen Stellenwert nehmen da die Familie, das private Umfeld ein?
Beides ist sehr wichtig, ja eigentlich das A und O. Die Familie bekommt alles mit und trägt auch mit. Meine Eltern begleiten mich nach Athen, das ist schön. Auch meine Freundin hat viel Verständnis. Während der Woche wohne ich in Magglingen. In Grosshöchstetten bin ich nur am Wochenende, falls kein Wettkampf ist. Ich bin froh, so viele gute Leute um mich zu haben.

Sie sind seit gut vier Jahren Profi und setzen auf die Karte Kunstturnen. Wie sieht Ihr Wochenprogramm aus?
Pro Woche trainiere ich 30 Stunden, dazu kommen die zahlreichen Wettkämpfe an den Wochenenden. Jeden Tag gibt es zwei Trainingsblöcke, aber auch die Regenerationszeit ist sehr wichtig. Kunstturnen ist zeitintensiv, ein Fulltime-Job, will man an der Spitze mitmachen.

Was fasziniert Sie derart am Kunstturnen, dass Sie alles dafür geben?
Dass man in seinen Bewegungsabläufen die Perfektion erreichen muss. Es erstaunt mich immer wieder, was der Körper alles aushalten kann. Jeden Tag an seine Grenze zu gehen und diese immer weiter hinaus zu schieben, das fasziniert mich.

Wie lange kann Ihr Körper diese Strapazen aushalten?
Geplant ist, auch die nächste Olympiade in vier Jahren bestreiten zu können. Das wäre optimal. Aber es kann natürlich auch sein, dass der Körper plötzlich nicht mehr mitmacht. Sicher ist, dass ich auch nach meiner Karriere dem Sport treu bleibe und vielleicht ein Sportstudium beginne.

Quelle: emmentalnet - das webportal fürs emmental
Fotos, Gestaltung: gymmedia

 

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Christoph Schärer:
Reck-Bronze 2004 in Ljubljana

Schweizer Olympiaplatzierungen:
MANNSCHAFT
... 11. Platz 1992

Mehrkampf 1992)
... 25. Michael Engeler

Finales:

Dieter Rehm (2000)
7. Reck; 8. Sprung

 

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