... zum Athener Wertungseklat: 

«Ein Tiefpunkt für das Kunstturnen»

Fünf Fragen an Cornel Hollenstein (SUI)

Der Schweizer Cornel Hollenstein amtet an den Kunstturn-Wettbewerben als Kampfrichter. Schon 1994 hat er sich in der NZZ unter dem Titel «Reform oder Revolution im Bewertungssystem?» mit der Notengebung befasst.
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NZZ ONLINE 
(Schweiz)

(27-Aug-2004)

 

Ist für Sie die Bewertung von Alexei Nemow ebenso skandalös wie für das Publikum?

Der Montagabend war sicherlich ein Tiefpunkt für das Kunstturnen. Doch Nemow hat zum Schluss seiner Übung einen Fehler gemacht, das musste in die Note einfliessen. Die emotionelle Reaktion des Publikums zeigte einerseits, dass es wenig vom Kunstturnen versteht. Andererseits aber noch deutlicher, dass unser Wertungssystem an Grenzen gestossen ist.

Was meinen Sie konkret mit Grenzen?

Das Leistungsniveau ist heutzutage enorm hoch. Bereits in der Qualifikation hatten wir 31 Turner mit Noten von 9,6 bis 9,8. Dem kann das momentane System längerfristig nicht mehr gerecht werden, da sind Neuerungen gefragt.

Solche haben Sie in der NZZ ja bereits vor zehn Jahren aufgezeigt.

Richtig. Doch 1994 war an den WM in Dortmund die Zeit noch nicht reif für die Ideen des Kanadiers Hardy Fink und des Deutschen Jörg Fetzer, die im Auftrag des Internationalen Turnerbundes den Vorschlag ausgearbeitet hatten, im Gegensatz zum herkömmlichen System mit der Maximalnote 10 wie etwa im Wasserspringen eine A-Note für den objektiv auswertbaren Schwierigkeitsgehalt (materieller Wert) und eine B-Note für die eher subjektiven Eindrücken unterworfene Übungsausführung (ästhetische Komponente) einzuführen, wobei die beiden Werte miteinander multipliziert werden sollen.

Doch haben in Athen nicht einfach zwei Kampfrichter Fehler gemacht und falsch benotet?

Wie die Athleten stehen die Richter an Olympischen Spielen unter enormem Druck. Da können Fehler geschehen, das ist nur menschlich. Diesem Umstand wird aber schon seit Jahren Rechnung getragen, es gibt neun statt nur mehr vier Richter. Sechs schreiben die Noten für die Ausführung, drei für die Schwierigkeit. Das bietet normalerweise Gewähr für größtmögliche Objektivität. In Athen hat dies leider für einmal nicht optimal geklappt. Allerdings ist es eine Tatsache, dass an den Spielen weniger streng bewertet wird als etwa an den Schweizer Meisterschaften.

Was ist zu unternehmen, dass es nicht mehr zu solchen Szenen wie am Montag kommt?

Der Internationale Turnerbund muss sich jetzt mit seinem Wertungssystem auseinander setzen. Jetzt ist die Zeit dazu. Ob er dereinst Profi- Kampfrichter anstellen oder Bewertungen mittels Video-Analysen einführen wird, muss sich weisen. Freilich darf nicht erwartet werden, dass über Nacht alles auf den Kopf gestellt wird. Die Sache muss, mit Distanz zu den Emotionen, genau geprüft werden, allfällige Neuerungen sind sodann längerfristig zu installieren. Die Teams und vor allem auch die Nachwuchsturner müssen ja wissen, wie sie dereinst bewertet werden, wenn sie jetzt neue Übungen einstudieren.

Quelle: Interview: jeg., veröffentlicht in der NZZ vom 27.08.2008

 

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Reck-Bronze 2004 in Ljubljana

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Dieter Rehm (2000)
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