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Anaheim/Kalifornien
- Im einstigen Goldgräberstaat Kalifornien sind die
US-Kunstturner zum zweiten Mal auf eine Goldader gestoßen. 24
Stunden nach dem Triumph der Frauen-Riege gewann Paul Hamm in
Anaheim den Titel des Mehrkampf-Weltmeisters. Der 20-Jährige fing
am letzten Gerät den lange führenden Chinesen Yang Wei noch ab,
Hiroyuki Tomita aus Japan gewann die Bronzemedaille.
Hamm, ein Student aus Wisconsin, gewann nicht nur den ersten
Mehrkampf-Titel für die USA überhaupt, er überwand dabei auch
sein traumatisches Verhältnis zum Reck. Schon bei den
Welttitelkämpfen 2001 im belgischen Gent war Hamm auf Titelkurs,
ehe er im sechsten und letzten Durchgang am Königsgerät versagte
und nur noch auf Rang sieben landete. Diesmal behielt er die
Nerven und turnte mit 9,775 Punkten die zweithöchste Note des
Tages überhaupt.
"Natürlich gingen mir diese Bilder noch einmal durch den
Kopf, aber dann ist es mir glücklicherweise gelungen, sie schnell
auszublenden. Schließlich wusste ich, dass ich nahezu perfekt
turnen musste, um noch zu gewinnen", berichtete Hamm, dessen
Zwillingsbruder Morgan ebenfalls zum Kreis der US-Nationalriege
gehört.
Der Tragweite seines sportlichen Erfolges war sich der
patriotische US-Boy durchaus bewusst: "Ich fühle mich jetzt
als Teil der amerikanischen Kunstturn-Geschichte. Dieser Titel
wird eine Erinnerung für das ganze Leben sein." Hamm
übertraf damit sein großes Vorbild Kurt Thomas, der bei der WM
1979 in Fort Worth im Mehrkampf die Silbermedaille gewonnen hatte.
Sein 13. Platz wird nicht in die Geschichte eingehen, doch auch
Sven Kwiatkowski hatte nach der Mehrkampf-Entscheidung vor 6438
Zuschauern im Arrowhead Pond von Anaheim Grund zum Feiern. Nur
durch verletzungsbedingte Absagen überhaupt im Finale
startberechtigt, turnte der Chemnitzer zwischenzeitlich bis auf
den neunten Rang vor, ehe ihn seine altbekannte Schwäche an den
Ringen doch noch aus den Top Ten warf.
"Ich bin ganz locker geblieben, weil der Druck aus dem
Mannschafts-Wettbewerb zum Glück weg war. Da war einfach nur die
Freude, noch mal turnen zu dürfen", sagte der ehemalige
deutsche Meister. Kwiatkowski stieß mit dieser Platzierung in
Bereiche vor, die zuletzt nur der mittlerweile zurückgetretene
Reck-Olympiasieger Andreas Wecker erreichte.
Auch Bundestrainer Andreas Hirsch registierte das Abschneiden
seines Schützlings mit Genugtuung: "Diese Leistung ist für
mich der Beweis dafür, dass wir uns deutlich sicherer für Athen
hätten qualifizieren können." Stattdessen war die Riege des
Deutschen Turner-Bundes erst nach mehrstündigem Bangen und
Zittern und mit nur zwölf Tausendstelpunkten Vorsprung vor
Weißrussland auf Rang zwölf eingekommen, der Mindestplatzierung
für die Olympia-Qualifikation.
(Quelle:
STUTTGARTER ZEITUNG, 22.08.03)
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