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22-Aug-2003

Anaheim/USA

37th WORLD CHAMPIONSHIPS ARTISTIC GYMNASTICS
- Turn-WM 2003 -

2003, August 22

  PRESSESPIEGEL

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Kommentar:
                               Turnen auf der Kippe

- von Volker Stumpe / FAZ

 


Was sind vier Hundertstelpunkte im Turnen? Ganz schön wenig. Und wie kommt dieser kleine Unterschied zustande? Durch lauter Kleinigkeiten. Ein falscher Handgriff oder ein wackliger Abgang genügen, um von dem gestrengen Kampfgericht mit einem Punktabzug bestraft zu werden. "Nur ein Fehler weniger . . .", klagte Teamchefin Petra Nissinen, nachdem die deutsche Frauenriege bei der Kunstturn-Weltmeisterschaft in Anaheim das verpasst hatte, was den Männern tags zuvor gelungen war: die Qualifikation für die Olympischen Spiele in Athen. Ein Fehler weniger - und die nun untröstlichen Turnerinnen wären am Ziel gewesen. Ein Fehler mehr - und die überglücklichen deutschen Turner hätten eine Schmach erlebt. Ihnen reichte der kaum merkliche Vorsprung von zwölf Tausendstelpunkten zur Olympia-Qualifikation. Pech gehabt, Glück gehabt.

Der winzige Unterschied hat weitreichende, ja fatale Folgen. Umfallen, aufstehen, weitermachen? So einfach ist das nicht. Kaum war die letzte Übung geturnt, kaum waren die letzten Hundertstelpunkte vergeben, sprach Rainer Brechtken das aus, was nun alle beschäftigt und tief beunruhigt. Der Präsident des Deutschen Turner-Bundes richtet einen geradezu flehentlichen, aber vermutlich vergeblichen Appell an all jene, die über die Vergabe der Fördermittel entscheiden: "Die Perspektiven sind vorhanden, da darf uns das Nationale Olympische Komitee nicht hängen lassen. Sportarten, die auf der Kippe stehen, darf man nicht fallen lassen." Das Frauenturnen steht seit Jahren auf der Kippe. Die deutschen Turnerinnen kommen nicht so recht auf die Beine und fehlen nun schon zum dritten Mal nacheinander als Mannschaft bei Olympischen Spielen. In der Förderung sind sie daher auf die unterste Stufe vier zurückgefallen. Dabei wird es vorerst bleiben. Und damit lassen sich auch weiterhin keine großen Sprünge machen.

Eine so trainingsintensive Sportart wie das Turnen mit ihren personal- und kostenintensiven Lehrgängen benötigt mehr, als sie erhält. Ein altbekannter Fehler im System. Die staatliche Sportförderung belohnt die, die es schon können, und sie bestraft jene, die ihr Metier einmal beherrschen könnten. Und die deutschen Turnerinnen hätten es verdient, weil sie das Zeug dazu haben. Alle Beobachter waren sich einig, dass sie in Anaheim die seit langem beste Leistung gezeigt haben, dass die Klimmzüge der vergangenen Jahre zu einem unverkennbaren Aufschwung geführt haben. Die Riege hat zweifelsohne Perspektive. Vielleicht sogar eine bessere als die Männer. Die hatten unendlich viel Glück. Die Frauen waren im Pech. Dieser kleine, nicht messbare Unterschied sollte kein Kriterium für eine künftige Sportförderung sein.

( Volker Stumpe Frankfurter Allgemeine Zeitung )



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